29April
2020

7 Dinge, die ich im Auslandssemester über mich gelernt habe

Nachdem ich meinen letzten Eintrag fertiggestellt hatte - der übrigens mit Begeisterung aufgenommen wurde (danke Mama) - habe ich festgestellt, dass ich recht allgemein über die Erfahrungen in einem Auslandssemester geschrieben habe. Ein paar Dinge habe ich komplett ausgelassen. Die, die mich selbst betreffen. Ich möchte also nun auf genau das nochmals genauer eingehen und im gleichen Format ein paar Dinge ansprechen, die ich persönlich über mich gelernt habe. Und falls es hier Leser gibt, die mich nicht wirklich kennen: Keine Sorge, ich habe das Gefühl, dass man das auch gut auf allgemeine Erfahrungen ausdehnen kann. Was habe ich also gelernt?

1. Ich bin extrovertierter als ich dachte

Wer mich kennt weiß, dass ich eigentlich ziemlich introvertiert und ruhig bin. Damit identifiziere ich mich auch gerne. Ein großes Missverständnis ist übrigens, dass Introvertiertheit gleich Schüchternheit ist. Das stimmt so aber nicht. Ich brauche lediglich nach sozialer Interaktion ein bisschen Zeit für mich bzw. zum "Wiederaufladen". Naja, dachte ich zumindest. In Reno hatte ich genau diese Zeit zum Wiederaufladen nicht, ich war ja selbst nachts immer mit mindestens einer Person im gleichen Zimmer. Ich dachte im Vornherein, dass mich das total stressen würde. Tat es dann aber nicht. Ich kam erstaunlich gut damit zurecht. Mehr noch, ich wollte mich sogar mit Leuten treffen, hatte am Wochenende immer Lust was zu unternehmen und habe mich gefreut, wenn Leute mich angesprochen haben. Ich habe lieber mit Freunden in der Mensa gegessen oder Hausaufgaben gemacht, als alleine. Allgemein habe ich mich stets gefreut unter Menschen zu sein. Und das ist tatsächlich vorher ungewöhnlich für mich gewesen. Gut, ich muss dazu sagen, dass der Satz ja nur heißt "extrovertierter als ich dachte" und nicht extrovertiert. Ich bin nachwievor auf der ruhigen Seite des Spektrums, aber ich habe mir die Auszeiten wohl anders gesucht, z.B. wenn ich mal für 2 Stunden alleine in der Bibliothek saß oder wenn ich morgens alleine ins Fitnesscenter gegangen bin. Aber ich habe eben auch gesehen, dass ich, wenn die richtigen Leute und die richtige Umgebung vorhanden sind, durchaus kein Problem hab, dauernd unter Leuten zu sein. Es gefällt mir anscheinend sogar! Ich habe mich sogar bei dem Gedanken ertappt, meine Reisepläne zu ändern, um mehr mit anderen Leuten verbringen zu können. Fast ein bisschen gruselig. :D

2. Ich bin sportlicher bzw. sportbegeisterter als ich dachte

Ich hab schon immer gerne Sport gemacht und Sport geschaut. Bisher war das in etwa immer ein bis zweimal in der Woche entweder Tennis, Floorball oder Badminton. Und auch geschaut hab ich immer viel, sei es Tennis, American Football oder Olympia. Aber in Reno habe ich erst gemerkt, wie cool ich das Ganze wirklich finde! Ich bin in den meisten Wochen 5 mal pro Woche ins Fitnessstudio gegangen und hab dann noch 1-2 mal pro Woche Tennis gespielt. Einfach weil ich jeden Tag Lust drauf hatte. Darüber hinaus bin ich Skifahren gewesen, Bouldern gegangen und habe in den letzten Tagen noch mit den anderen Leichtathletik gemacht und Fußball gespielt. Gerade die ersten zwei dieser Sachen hätte ich in Deutschland wohl nie einfach mal so ausprobiert. Hier habe ich es aber gemacht und es hat Spaß gemacht. Ebenso bin ich immer gerne zu Basketballspielen gegangen und hätte mir auch gerne Baseball angeschaut. Im Nachhinein würde ich fast sagen, dass mir das alles mit am meisten fehlt. Sport treiben und Sport anschauen. Ich bin lustigerweise in keiner Sportart so richtig gut (ja, ich weiß, Tennis, aber selbst da bin ich ja aus der Übung) und würde mich auch nicht als sportlichen Typen bezeichnen, daher finde ich es auch auf irgendeiner Weise sonderbar, aber ich habe gesehen, dass Sport einen großen Mehrwert für den Alltag bietet und es einfach Spaß macht, aktiv zu sein. Und naja, vielleicht half dabei auch der Fakt, dass ich nun drei Hochklasse-Athleten zu meinen Freunden zählen kann. :D

3. Ich bin amerikanischer als ich dachte

Oh ja, sogar amerikanischer als die meisten anderen Internationals, die ich kennengelernt habe. Während andere sich nach besserem und gesunderem Essen sehnten, das Uni-System in den USA verteufelten und die aufgesetzte Nettigkeit der Amerikaner nicht mochten, fand ich gerade das cool! Ich stehe einfach auf fettige Chicken Wings mit Pommes, den klassischen Burger oder vollkommen unauthentisches asiatisches oder italienisches Essen. Gerne jeden Tag! Ich finde den Kult um Sport, das College-System und den niedrigen Anspruch in den Klassen super! Ich liebe es, dass quasi jeder dich erstmal nett anlächelt und dir weiterhelfen möchte, auch wenn das aufgesetzt ist. Ich finde sogar den ganzen Kult um das Auto und die riesigen Shoppingcenter cool, auch wenn wir damit ein bisschen Probleme hatten. Und wow, Countrymusik ist schon echt mega! Versteht mich nicht falsch, es gibt vieles (und das sieht man vor allem aktuell wieder in den Medien), was ich an den USA nicht mag. Das Land hat viele Probleme - viel mehr als andere Länder sogar - die endlich mal angegangen werden sollten. Aber die Atmosphäre, die aus dem allgemeinen Spirit der Amerikaner entsteht (Land of the Free, unbegrenzte Möglichkeiten, usw.) fand ich einfach durchweg anregend. Ich würde sogar so weit gehen und behaupten, dass ich mich in vielen Aspekten mit der Lebensweise besser identifizieren kann als mit der deutschen.

4. Ich bin unmoralischer als ich dachte

Klingt erstmal hart, aber ich meine hiermit in erster Linie Dinge, auf die ich in Deutschland stets geachtet habe, die mir aber in den USA einfach ein bisschen mehr egal waren. Da wäre zum Beispiel Umweltschutz: Es war mir erstaunlich egal ob wir jetzt laufen oder wir uns einen Uber rufen. Fliegen? Klar, immer her damit und bitte schön günstig! Müll? Ist zwar doof, aber wenn die hier eben so verschwenderisch sind. Ernährung? Ja, man soll weniger Fleisch essen und es ist hier auch bestimmt nicht von hoher Qualität, aber es schmeckt halt nun mal gut und wenn ich dazu bitte noch einen Maxi-Cup Dr. Pepper haben könnte, wäre das super. Ich hätte gerne Plastikgabeln, brauche aber nur maximal 5? Na gut, wenn der 36er Pack der kleinste ist, dann kaufe ich den halt. Heute zum fünften Mal Essen online bestellen? Klar, das Geld hab ich ja. Bitte, bedenkt auch hier wieder: Mir sind alle angesprochenen Dinge nach wie vor wichtig und ich finde, wir sollten alle von dieser Art Denken wegkommen. Die Amerikaner haben allgemein ein großes Problem mit Nachhaltigkeit, mit Ernährung und mit sozialer Ungerechtigkeit. Und ich kämpfe sehr dafür, dass das Bewusstsein für diese Dinge besser wird und auch dass aktiv etwas dagegen getan wird. Aber offenbar ist mir vieles dieser Dinge am Ende doch nicht so wichtig, wie ich es mir immer einrede. Zumindest wenn es drauf ankommt. Mal sehen, was ich aus dieser Erkenntnis machen werde.

5. Ich bin weniger karriereinteressiert als ich dachte

Uni bzw. die eigene Karriere war schon immer nicht die Top-Priorität für mich. Ich bin immer irgendwie so durchgerutscht und das meistens sogar ziemlich gut. Auch in Reno hat sich das bestätigt. Die Klassen waren oft das uninteressanteste am Tag und meine Noten sind aktuell trotzdem alle auf einer glatten Eins (entschuldigung, wenn sich das angeberisch anhört). Mehr noch, Uni war mir sogar so unwichtig, dass ich den Besuch bei dem Geodäsie-Professor, den ich eigentlich treffen wollte, so weit hinausgezögert habe, dass es dann nicht mehr möglich war. Ebenfalls habe ich Projektideen und alles weitere immer so weit hinausgezögert wie es geht. Ein bisschen war es so schon immer, aber bisher drehte sich trotzdem alles um Uni in meinem Alltag. In Reno hatte ich nun jeden Tag so viele andere Aktivitäten, die ich spannender fand, dass der eigentliche Grund warum ich dort bin (das Studium) immer mehr in den Hintergund gerückt ist. Versteht mich auch hier nicht falsch: Es gab auch einige sehr spannende Vorlesungen und ich finde die Geowissenschaften trotzdem noch total interessant und denke, das ist genau mein Ding. Aber ich lege die Priorität eben im Gegensatz zu anderen Leuten eher auf eine coole Zeit außerhalb des Klassenraums und spannende Erlebnisse. Vielleicht muss ich einfach noch den Job oder den Karriereweg finden, für den ich so sehr brenne, dass es mir nichts ausmacht, wenn dafür mal ein bisschen Freizeit draufgeht. Quasi der Job, der sich für mich wie Freizeit anfühlt. Ich wette, der ist irgendwo da draußen. :)

6. Ich bin kitschiger / narzisstischer als ich dachte

Okay, ich weiß echt nicht wie ich diesen Punkt sonst ausdrücken soll. Ich habe nun ewig lange nach richtigen Adjektiven gesucht, aber kein wirklich 100% passendes gefunden. Daher müssen die beiden eben herhalten. Was ich meine ist, dass ich entdeckt habe, dass ich eine Fotosession mit wilden Posen doch ganz cool finde. Dass ich manchmal die Zelebrierung eines trivialen Ereignisses echt toll finde. Beispiel: Trip nach San Francisco. Ja, nur her mit den kitschigen Fotos an der Golden Gate Bridge, den lustigen Zusammenschnitten mit Musik und den Spezialitäten, die man unbedingt probieren muss. Schon cool, das irgendwie zu zelebrieren. Außerdem habe ich eine gewisse Liebe für Instagram entdeckt. Meine deutschen Freunde müssen sich gewundert haben, aber ich habe festgestellt, dass ich es liebe, fast täglich irgendwas zu posten, sei es was ich tue oder was ich erlebe oder auch nur ein lustiges Meme oder ähnliches. Warum nicht mehr Dinge aus dem Leben teilen? Sogar dieser Blog ist ja eigentlich nur eine Zurschaustellung meiner ach so tollen Erlebnisse, die bitte alle begeistert lesen sollen. So habe ich vorher nicht unbedingt gedacht, aber in Amerika ist diese Selbstinszenierung etwas tiefer in der Kultur verwurzelt. Scheinbar ist das ein bisschen auf mich übergesprungen. Ich weiß nicht, was das jetzt psychologisch über mich aussagt (ich bin mir sicher, da könnte man nämlich was draus ziehen), aber das ist mir eigentlich auch egal. :D Aber auch hier gilt wieder wie bei jedem anderen Punkt: Mehr als vorher heißt nicht zwingend, dass ich es bin. Ihr kennt mich ja gut genug um zu wissen, dass ich jetzt kein Influencer werde. :D

7. Ich kann schlechter Englisch als ich dachte

Jap, ich hatte es schon vermutet, aber jetzt wurde es mir direkt vor Augen geführt, wie viel Nachholbedarf ich noch habe. Ich habe zwar ein TOEFL-Ergebnis von 118 von 120 Punkten (das ist tatsächlich sehr sehr gut), aber der Alltag ist immer noch die schwerste Prüfung. Auch hier wieder: Ich bin bestimmt sehr gut und die meisten Deutschen könnten meine Schwächen nicht erkennen, aber in Amerika wird alles gnadenlos offengelegt. Mein größtes Problem ist, dass mir Wörter oft nicht einfallen, wenn ich sie brauche. Außerdem verwende ich immer noch sehr simples Englisch. Ich erinnere mich an so einige Gespräche zurück, die ich als peinlich bezeichnen würde. Zum Beispiel das Gespräch über meine Projektidee mit Scott Kelley. Ich hab vor mich hin gestottert, als gäbe es kein Morgen und konnte meine ganzen Ideen gar nicht so richtig darlegen. Oder als ich mich in der Numerical Modeling-Klasse vorstellen musste. Ich wusste, was ich sagen will, aber mir fielen die englischen Wörter nicht ein und es entstand mehrfach eine beängstigende Stille. Außerdem gibt es in manchen wissenschaftlichen aber auch normalen Zeitungs-Texten immer noch Wörter, die ich einfach nicht kenne. Vielleicht übertreibe ich hier auch ein wenig, da ich ja nicht perfekt Englisch können muss. Aber ich hatte nach dem so guten TOEFL-Test eben höhere Ansprüche an mich. Ich habe das Gefühl, dass ich gut genug bin, um problemlos in einem englischsprachigen Land leben zu können, ich aber trotzdem noch nicht das höchste Level erreicht habe. Und da kann man dann Gespräche (vor allem mit Muttersprachlern) auf ganz anderen Ebenen führen. Übrigens fand ich es auch interessant zu hören, dass man meinen Akzent wohl sehr wohl raushört. Vielleicht nicht stark und Amerikaner können ihn auch nicht immer verorten, aber er ist da. Für mich, der stets von sich behauptet, Aussprache gut nachahmen zu können, war das zumindest mal eine Offenbarung. :D

So, mal wieder etwas ausgekotzt, mal wieder ein wenig persönliches preisgegeben und mal wieder etwas über mich und das Leben philosophiert. Aber warum auch nicht, hab ja neben Hausaufgaben eh nicht viel zu tun, da kann man schon mal den Blog mit Inhalt füllen. :) Für mich geht es jetzt in die Endphase des Semestes and der UNR. Mal sehen, wie ich mich schlage und ob ich meinen guten Notenschnitt halten kann. Zum Glück wurden einige Prüfungsleistungen durch die aktuelle Online-Situation stark vereinfacht. War auf jeden Fall auch unimäßig ein verrücktes Semester. :D Bis demnächst!

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