23März
2020

Alternative Handlungsstränge

Diesen Blogeintrag habe ich nachträglich am 5.1. verfasst. Ja, ich weiß das ist ein bisschen spät, aber alle unvollständigen Blogeinträge müssen eben irgendwann vervollständigt werden und da gilt besser spät als nie! Auch wenn ich mich nicht mehr an alle Einzelheiten erinnern kann, gibt es dennoch vieles was ich von diesem Tag noch weiß. Und das will ich euch nicht vorenthalten. Hier kommt der Eintrag:

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An diesem Morgen wurde endlich mal wieder durchgeschlafen. Peter und ich mussten uns beide von den aktuellen Strapazen erholen. Jetzt wo alles feststand, gab es zumindest keine Diskussionen mehr und man wusste, was passieren wird. Das war auf irgendeine Weise auch tröstlich. Wir dösten eine ganze Weile vor uns her ohne irgendein Wort zu reden, aber uns beiden war klar dass der andere schon wach war. Die Initialzündung zum Aufstehen gab dann Diana, die sich gegen 12:30 Uhr unseren Wasserkocher ausleihen wollte. Ein guter Anlass um sich mal aus dem Bett zu erheben. Diana kam ins Zimmer, wir quatschten kurz und sie nahm unseren Wasserkocher mit. Trotzdem lief danach erstmal nicht viel. Später wird es sicher wieder raus zum Sport gehen, aber vorher mussten wir uns die Zeit noch ein bisschen vertreiben. Gottseidank gibt es genug Dinge, die noch zu tun sind. Allen Leuten die sich sorgen Bescheid geben, Mails schreiben und sich um das Housing kümmern. Denn falls irgendwas mit dem Rückflug noch passiert, müssen wir ja trotzdem eine Bleibe hier in Reno haben. Der Residential Life, Housing & Food Service hatte schon wieder ein neues Formular herumgeschickt, das jeder ausfüllen soll, der länger in den Wohnheimen bleiben will. Leider war das diesmal ein bisschen komisch aufgebaut (ich weiß leider nicht mehr um was es genau ging) und ich war mir nicht sicher was ich wie eintragen soll und ob ich überhaupt dazu berechtigt bin, weiter in den Dorms zu wohnen. Deswegen tat ich etwas, was ich sonst nur selten mache: Ich rief einfach mal dort an! Seit die Corona-Situation eskaliert ist, habe ich oft (ich würde sogar sagen sehr oft) von anderen mitbekommen, dass beim Housing Service keiner rangeht oder dass besetzt ist. Ich erwartete eigentlich, dass das gleiche jetzt auch passieren würde, aber zu meiner Verwunderung ging jemand ans Telefon! Ich erklärte der Mitarbeiterin meine Lage, dass ich das Wohnheimzimmer nur im Notfall bräuchte und nicht weiß, wie ich das Formular ausfüllen soll. Sie meinte das sei kein Problem und erklärte mir, was ich tun soll. Das lief doch schon mal gut. Ich bedankte mich und ging wieder auf mein Zimmer (ich hatte auf dem Flur ganz am Ende des Ganges telefoniert), wo ich das Formular gleich abschickte. Irgendwann in dieser Zeit aß ich auch mit Peter eine Kleinigkeit von unseren Sachen. Es war noch einiges an Mirkowellen-Essen und Ramen da. Das musste ja irgendwann weg. Es dauerte wieder bis etwa 16:30 Uhr bis wir es schafften, uns für unseren heutigen Ausflug ins Mackay Stadium zu verabreden. Das lag aber auch daran, dass heute Montag war, der erste Tag nach Spring Break. Und einige hatten schon wieder Vorlesungen - diesmal eben online. Auch Peter und Jiwon hatten eigentlich um 16 Uhr eine Vorlesung. Während aber Jiwon verantwortungsbewusst an ihrem letzten Tag den Kurs besuchte, war es Peter egal und er kam lieber mit zum Sport. 100% nachvollziehbar. Wir mussten aber spätestens um 19 Uhr wieder zurück sein, da Ema da eine Vorlesung hatte. Echt komisch, es fühlte sich kein bisschen so an wie ein normaler Uni-Tag. Das wird es jetzt sowieso erstmal nicht mehr.

Ich traf mich also mit Diana, Reggy, Ema, Daniel und Peter unten im Eingangsbereich der Sierra Hall. Der war übrigens mittlerweile komplett mit Kisten zugestellt, in denen Leute ihre Sachen zurückgelassen hatten, die sie nicht mehr brauchten oder nicht mehr mitnehmen konnten. Da hat sich so einiges angesammelt. Und vielleicht liegen da in zwei Tagen auch Sachen von mir. Aber daran wollen wir jetzt nicht denken. Eine gute Nachricht gab es gottseidank von Reggy: Sie wird auch zurückfliegen und hat sogar schon einen Flug - am 25. - und zwar den gleichen über San Francisco, den wir haben! Wow, das klang irgendwie super. Zumindest konnten wir den Abschied von Reno gemeinsam erleben. Solche Nachrichten sind inmitten des ganzen Geschehens wirklich schöner als man denkt. Man weiß, dass man nicht alleine sein wird und das alles zusammen durchsteht. Und das ist eigentlich das was uns aktuell am meisten tröstet. Wir liefen dann also zu sechst bei strahlendem Sonnenschein über den Campus Richtung Mackay Stadium. Dieses war wie immer menschenleer und so kickten wir uns nochmal die Seele aus dem Leib. Reggy und Diana stellten sich wie erwartet etwas schlechter an während Peter und Daniel es krachen ließen. Ich würde mich dann mal im Mittelfeld einordnen. :D Auf einmal sahen wir zwei Kinder, die außerhalb des Zaunes auf der anderen Seite des Stadions zu uns reinschauten und uns aus der Ferne beobachteten. Kurz darauf kletterten sie einfach über alles drüber was vor ihnen lag und liefen auf das Feld. Auch sie hatten einen Fußball dabei und kickten diesen zunächst auf der anderen Seite etwas hin und her. Nach einer Weile kamen sie dann direkt auf uns zu und fragten uns ob wir mit ihnen spielen wollen. Es kam uns schon ein bisschen komisch vor, es ist ja auch gerade Corona-Zeit und beide wirkten nicht gerade wie die umgänglichsten Typen, sondern gaben sich eher als sehr coole Dudes aus. Sie waren bestimmt so ca. 14 Jahre alt. Aber gut, sie hatten Lust zu spielen und wir auch. Warum also nicht? Wir teilten uns in Teams auf (die beiden Jungs waren nicht im gleichen Team wohlgemerkt) und spielten ein paar Soccer-Matches. Dafür dass man immer sagt, dass Amerikaner nichts mit Fußball am Hut haben, spielten die beiden Jungs doch sehr gut. Wir konnten zumindest allgemein recht gut mithalten und es kam zu einigen witzigen Szenen in denen die kleinen Jungs von Peter dominiert wurden. :D Irgendwann waren wir dann ganz schön fertig und wollten eine Pause machen. Die Jungs verabschiedeten sich daraufhin und nahmen wieder ihren Schleichweg um aus dem Stadion rauszukommen. Trotzdem irgendwie komisch die beiden, aber naja. Wir mussten so langsam auch gehen, wollten aber noch ein paar letzte Fotos von uns machen. Dank Selbstauslöser entstanden so ein paar echt coole Bilder. Ich nutzte auch nochmal die Gelegenheit um mich an einer Hürde für Männer zu versuchen. Gefühlt waren die doppelt so hoch als die der Frauen. Vor zwei Tagen hatte ich noch gedacht, dass da doch keiner drüber springen kann. Aber es ließ mich nicht los und nachdem ich gestern unseren Hochsprung-Wettbewerb gewonnen hatte, wollte ich es nochmal wissen. Ich nahm Anlauf - und sprang einfach drüber. Es ging doch! Nice! Auch hierbei entstand ein cooles Bild, das ich bestimmt irgendwo hier einfügen werde. Wir verabschiedeten uns dann vom Mackay Stadium. Es sollte das letzte Mal sein, das wir hier gewesen sind. Auf dem Weg nach draußen trafen wir auf zwei kräftige Jungs, die an den Reifen trainierten, die ich vor zwei Tagen umgeworfen hatte. Das waren mit Sicherheit zwei aus dem Football-Team. Und da auf jeden Fall aus der Offense oder Defense Line, das war eindeutig. Jetzt kann ich also auch sagen, dass ich Football-Spieler beim Trainieren getroffen habe. :) Da es ja eigentlich schon wieder Abend war, wollten wir gleich noch bei The Overlook vorbeigehen und uns was zum Essen mitnehmen. Unsere Meal Swipes müssen ja auch irgendwie noch so gut es geht weg. Auf dem Weg über den Campus kamen wir am großen Logo der UNR vorbei und wollten auch hier nochmal spontan ein paar Fotos machen. Die meisten wurden wieder richtig gut, wenn auch die Idee, aus uns selbst ein N zu bilden bei dem ich der Querstreifen bin, ein bisschen fehlschlug. :D Auf dem weiteren Weg zu The Overlook schnappte sich Peter Emas Athleten-Jacke und poste damit ein bisschen rum. Während die anderen schon mal rein ins Gebäude gingen, wartete ich mit ihm draußen, da ich auch noch ein paar Fotos mit der Jacke haben wollte. So eine Jacke bekommen nur die Athleten der Uni - ich empfand das als was besonderes. :D Naja, als wir genug für unsere Sportlerprofile gepost hatten, gingen auch wir ins viel zu leere The Overlook und holten uns was zu Essen. Ich weiß schon gar nicht mehr ob ich Pasta, Pizza, Burger, Burrito oder was ganz anderes kaufte. Ist aber auch nicht so wichtig. Ich sag mal so, wäre es ein gutes Essen gewesen, hätte ich mich sicher dran erinnert. :D

Wie jeden Abend standen dann wieder nur drei Fragen im Raum: Wann treffen wir uns, was schauen wir und was essen wir? Die letzte Frage hatten wir eigentlich schon geklärt, aber es gab ja noch Jiwon und Joaquin, die noch kein Essen hatten. Und ehrlich gesagt waren auch die meisten anderen, inklusive mir wieder etwas hungrig, nachdem wir uns alle geduscht hatten und gewartet hatten, bis Emas Kurs zu Ende ist. Wir fackelten nicht lange und bestellten wieder bei Domino's. Die Food Bucks müssen schließlich noch weg, von denen hatte jeder noch weit über 100$. Das Essen kam, wir trafen uns bei Reggy und überlegten uns, was wir anschauen sollen. Wir wollten eigentlich die beiden Koreaner entscheiden lassen, da heute ihr letzter Tag war, aber die waren sich uneinig. Am Ende fiel die Wahl auf einen ganz besonderen Film - Black Mirror: Bandersnatch. Das ist ein Netflix-Film, bei dem man sich die Handlung selbst zusammenbauen kann. Es werden einem zwischendurch immer wieder Fragen gestellt, was passieren soll. Das geht von kleinen Entscheidungen, wie welches Müsli sich die Hauptfigur aus dem Regal nehmen soll, bis hin zu folgenschweren Entscheidungen, wie ob sie sich vom Balkon stürzen soll oder nicht. Es war wirklich ziemlich kurzweilig und mal was anderes. Diana und Reggy hatten abwechselnd die Kontrolle über die Tastatur und konnten uns anderen deshalb auch mal überstimmen wenn sie das wollten. Aber als wir an unserem Ende des Films angelangt waren, wollten wir sowieso wieder zurückgehen und noch ein paar andere, alternative Handlungsstränge ausprobieren. Witzige Spielerei. Es war schon echt gut gemacht und man erkannte, welche Tragweiten unsere Entscheidungen haben und zu welchem Ergebnis sie führen. Das war schon echt gut und authentisch gemacht. Dabei blieb es dann aber auch. Wir unterhielten uns noch eine Weile und gingen dann wieder auf unsere Zimmer. Peter packte noch ein wenig seine Sachen zusammen, bevor wir uns dann beide ins Bett legten. Hm, das wird seine letzte Nacht hier sein. Und meine vorletzte. Schwer vorstellbar, aber so langsam sickerte es durch. Ich muss morgen auch noch packen. Das wird was werden. Kann mir gut vorstellen, dass meine Koffer am Ende zu schwer sein könnten. Aber das erschien mir alles so unwichtig gegenüber dem was hier gerade geschah. Es geht alles zu Ende. Da fragt man sich doch, was in einem alternativen Handlungsstrang passiert wäre. Nur leider habe ich hier nicht die Wahl. Wir werden sehen, es kommt eben wie es kommt. Bis morgen!

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