14Februar
2020

Ein melancholischer Tag

Heute werde ich mal nicht alles im Tagebuchstil aufschreiben. Der Tag bestand nämlich aus nicht wirklich vielen spannenden Dingen. Einen kurzen Abriss will ich euch aber dennoch geben.

Wir hatten Lunch mit Olaia und Rayven, die beide danach nach Idaho zu Rayven's Elternhaus fuhren (was später noch für Diskussion sorgen sollte). Heute war ja auch Valentinstag, was hier richtig zelebriert wird und ich bekam sogar Geschenke von Peter und Jiwon. Ist bestimmt viel Kommerz dabei, aber war doch recht nett. Am Nachmittag wollten wir rausgehen und liefen einfach so über den Campus mit dem Ziel Tenniswettkampfplätze (denn offenbar haben die das hier doch, aber nur für Athleten). Das Spiel war aber schon aus und wir sammelten lediglich Rewards-Punkte (zu kompliziert, um es hier zu erklären) ein. Danach schlenderten wir rüber zum Baseball-Feld, was offen war und wir konnten kurz reinschauen. Als wir danach einen Cache suchten, fanden wir eine schöne Kunstinstallation vor und ich warf einem Typen seinen Fußball zu, der vom nahegelegenen Fußballplatz auf unsere Seite rübergeflogen war und ich unterhielt mich kurz mit ihm. Wir fanden noch einen coolen Cache und stellten dann in der Sierra Hall fest, dass Free Laundry Weekend war. Wir machten also alle unsere Wäsche - kostenlos. Diana machte sogar 3 Ladungen gleichzeitig und ich machte auch nochmal eine extra Ladung für meine Bettdecke. Abends hatte ich ein kleines Dinner in "The Den" mit Peter und Diana und Ema, die wir zufällig trafen. Im Anschluss hingen wir kurz im Konfernezraum ab, wo Joaquin's Mitbewohner Xavier mit reinkam und uns auf einmal zu einer Partie UNO förmlich zwang. Wir spielten ein wenig, aber wir hatten eigentlich andere Sachen im Kopf und er kam uns auch ziemlich komisch vor, so von seiner Art her. Als er den Raum wieder verließ, wurde Joaquin von Kiki angerufen und die beiden nahmen einen Uber zu einer Bar in Midtown. Wir, der Rest, waren zu langsam und hatten aber mehrheitlich auch keine Lust. Wir zogen also um in Diana's Zimmer, wo wir Cider tranken, Ema uns einige Geschichten über ihre bisherige Zeit hier in Reno erzählte, wir ein komisches Experiment ausprobierten womit man Leute mit nur zwei Fingern heben kann (auch das ist nicht so einfach zu erklären) und über allgemeine Dinge wie Autofahren, Impfungen und Visa sprachen. Das war es dann auch schon. Morgen geht es Richtung Westen, daher können wir auch nicht allzu spät ins Bett gehen. Aber soviel erstmal zum Tagesablauf.

Während ich heute so in der Nachmittagssonne mit Diana, Reggy, Joaquin und Peter an den ganzen Sportplätzen vorbeilief, die alle auf dem Campus etwas höher liegen, überkam mich eine seltsame Melancholie. Ich bin nun schon seit über einem Monat hier - und es sind nur noch 3 Monate insgesamt. Das ist nicht viel. Ich dachte erstmals so richtig drüber nach, wie gut es mir hier eigentlich gefällt, welche Möglichkeiten ich hier habe und dass mein Alltag eigentlich ganz schön aussieht. Es ist ja eigentlich wie ein Neuanfang. Man führt auf einmal ein komplett neues Leben. Und das heißt, dass man alles anders machen kann als vorher. Ich war in Dresden auf keinen Fall unglücklich, aber ich hatte dennoch oft das Gefühl, dass ich im immergleichen Trott drinstecke und meine Zukunft schon fast ein bisschen vorprogrammiert ist. Davon bin ich hier komplett frei. Bis eben darauf, dass ich bald wieder zuhause sein werde. Mir fällt hier aus irgendeinem Grund vieles leichter. Ich komme in der Uni irgendwie besser klar, ich spreche leichter mit Leuten, ich mache öfters Sachen, die ich sonst nicht machen würde. Als wäre es schon immer so gewesen. Vielleicht liegt mir auch das amerikanische College-System mehr. Man wird hier eben mehr an die Hand genommen, es wird sich mehr um einen gekümmert und da Housing, Essen, Unterhaltung, Sport, etc. alles über die Uni läuft, ist die Stimmung allgemein viel familiärer. Natürlich ist bei dem Ganzen auch ein gewisser Bias mit drin. Vielleicht ist das für Amerikaner ganz anders, die es nicht anders kennen. Dennoch denke ich, dass Deutschland ein bisschen mehr "Zusammenhalt" vertragen könnte. Ich weiß nicht, wie ich das am besten ausdrücken soll, aber in Dresden wird man sowohl in der Uni als auch sonst öfters einfach ins kalte Wasser geworfen und muss sich dann selbst zurechtfinden. Natürlich ist das übertrieben, aber in Deutschland ist die Uni für viele ein Mittel zum Zweck um zu ihrem Traumjob zu gelangen. In den USA ist es ein ganzer Lebensabschnitt, den man gebührend zelebriert. Als ich zwischen den Sportplätzen durchlief, musste ich auch irgendwie an Ema und Olaia denken, die hier vermutlich ihre ganze Studienlaufbahn verbringen werden. Sie kamen genau wie wir aus Europa rüber, um in den USA ihre Karriere zu starten bzw. voranzubringen. Für sie werden wir nur eine kurze Bekanntschaft aus dem ersten Studienjahr bleiben. Sie können das College-Leben richtig auskosten, nicht nur kurz reinschnuppern. Noch dazu haben sie als Athletinnen einige Privilegien und sind angesehen. Natürlich male ich hier ein etwas zu schönes Bild, da die beiden auch viel arbeiten müssen und es ihnen auch nicht immer gefällt, aber der Gedanke, hier in den USA frisch zu starten und alles mitnehmen zu können was geht, gefällt mir irgendwie. Ich frage mich immer wieder, was nach dem Auslandssemester sein wird. Klar, ich schreibe meine Masterarbeit, aber was dann? Dann bin ich kein Student mehr und dieser zugegeben schöne Lebensabschnitt ist vorbei. Das was ich inständig hoffe ist, dass ich nicht mehr in alte Denkmuster zurückfalle, sondern die "Stimmung" hier in den USA mit rüber bringe. Dass ich mich nicht schon vorher einschränke und denke, dass irgendwas nicht klappt oder ich es aus irgendwelchen Gründen nicht tun sollte. Auch wenn aktuell oft vieles dagegenspricht, ich finde, dass die Bezeichnung "Land der unbegrenzten Möglichkeiten" irgendwie doch wahr ist. Vom Weg hinter den Sportplätzen aus, konnten wir heute fast ganz Reno überblicken und sahen die hohen Berge, die auf allen Seiten hochragen. Dieses Land bietet allein durch seine Größe schon so viele Möglichkeiten, dass die Mentalität der Amerikaner mich keinesfalls überrascht. Willst du Land kaufen, kauf es! Willst du eine Pistole kaufen, mach es! Willst du nur die ganze Zeit Fast Food essen, tu es! Willst du für jede Mahlzeit einen neuen Pappteller verwenden, tu es! Willst du eine umfassende Bildung und daneben jede Woche kostenlos Basketball schauen, hier kannst du es! Willst du während dem Studium mit anderen Leuten stricken, über Disney quatschen, nerdige Videospiele zocken oder über mentale Probleme sprechen, es gibt einen Club für das alles! Seht ihr was ich meine? Natürlich ist das alles aus einer gesamtgesellschaftlichen Perspektive oft problematisch. Nehmen wir das Beispiel mit den Waffen oder den Papptellern. In Deutschland wirst du dafür schief angeschaut oder sogar verfolgt (und das auch zurecht). Es geht mir aber eher um die Mentalität an sich: Du kannst alles machen was du willst. Und oft wird dir dabei sogar noch geholfen, damit du so einfach und unbeschwert wie möglich durchs Leben gehen kannst. Und genau das schätze ich an den USA so, deswegen liebe ich es hier zu sein und genau das werde ich auch nach meiner Zeit hier vermissen. Genauso wie die guten Freundschaften, die ich hier geschlossen habe natürlich. Und die vielen anderen Erfahrungen, die man so macht wenn man 5 Monate von zuhause weg ist. Vermutlich ist es genau das, was ein Auslandssemester so wertvoll macht: Alles nochmal auf Anfang und eine ganz andere Perspektive aufs Alltagsleben. Solche Erfahrungen sollte jeder einmal gemacht haben.

So, genug der Melancholie. Sich solche Gedanken von der Seele zu schreiben ist mal eine willkommene Abwechslung von den ganzen Tagebucheinträgen von sonst. Und vor allem hat man seine Gedanken mal geordnet und niedergeschrieben. Ich hoffe, ihr könnt etwas daraus mitnehmen. Morgen geht es erstmal wieder auf ein kleines Abenteuer. Und ich hoffe, dass noch viele kommen werden!

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