18März
2020

Schnee macht jeden glücklich

Der heutige Tag fing gleich nochmal mit einer Schock-Nachricht in unserer WhatsApp-Gruppe an. Alle Sport- und Fitnessanlagen auf dem Campus sind mit sofortiger Wirkung bis auf weiteres geschlossen. Verdammt, wäre ich doch gestern noch ins Fitnesscenter gegangen! Schon irgendwie unbegreiflich. Das letzte Muscle Hustle am Donnerstag war wirklich das letzte Muscle Hustle überhaupt. Außerdem war es mein letztes Mal im Fitnesscenter überhaupt. Und das wo ich es gerade geschafft hatte, eine Routine aufzubauen und an mir zu arbeiten. Ich hatte es wirklich zu schätzen gelernt, ein gut ausgestattetes Fitnesscenter gleich vor der Haustür kostenlos zur Verfügung zu haben. Ob es das nochmal irgendwo geben wird?

Dann kam auch noch die Meldung vom Housing Office, dass alle Studenten in den Wohnheimen sofort zurück nach Hause fahren sollen. Für Studenten, die kein Zuhause in den USA haben, oder bei denen andere besondere Umstände gelten, wird es eine Sonderregelung geben, die aber noch nicht feststeht. Cool, noch mehr Unsicherheit. Naja, bevor wir uns über WhatsApp vollkommen verrückt machen, gehen wir am besten erstmal Essen. Und da ja sonst nicht viel offen hat, ging es wieder zu Habit Burgers. Ich bestellte einen Portabella Char in einer Combo. Das ist schon ein ziemlich guter Burger. Wir setzten uns an den Tisch an dem wir fast immer saßen bisher und ließen uns Zeit. Die Atmosphäre ist auch hier einfach nur surreal. Nur wenig Leute, ein Teil des Gastraumes abgesperrt, keiner ist glücklich gerade... dazu kommt noch ein stürmisches kaltes Schneegestöber draußen. Es wäre das perfekte Setting für den Beginn eines Weltuntergangs-Films. Immerhin schmeckte das Essen! Wir blieben eine Weile und mein Freund Thomas aus der Heimat meldete sich auf einmal und fragte, ob wir spontan skypen wollen. Da wir das schon immer mal vorhatten, aber es nie geklappt hat, sagte ich sofort ja und chattete mit ihm im Habit. Wir erzählten uns dies und das und ich hatte natürlich aufgrund meiner Situation gerade mehr zu erzählen. Als die anderen sich entschieden zu gehen, nahm ich Thomas per Skype einfach mit und zeigte ihm den verschneiten Campus und das Wohnheim. Da braucht man später ja fast keine Fotos mehr zeigen. :D Am Front Desk in der Sierra Hall fragten wir dann Ashlei (sie gehört zum Residence Hall Staff), ob sie uns schon mehr Infos zur Lage geben kann. Sie wusste zwar auch nicht wirklich mehr und sagte uns nochmal, dass Studenten, die wo anders hinkönnen, dort hingehen müssen. Das könnte auch internationale Studenten betreffen, da die ja eventuell zurückfliegen können. Aber die die hier bleiben müssen, werden auf jeden Fall in irgendeinem Wohnheim unterkommen. Irgendwie machte uns das nur noch ratloser. Sie wollen wohl bald eine Umfrage an alle rumschicken. Mal schauen. Thomas hatte das ganze übrigens über Skype mitgehört und fand es ziemlich spannend. Jap, er ist live dabei in diesem schlechten Katastrophenfilm. In meinem Zimmer angekommen machten wir dann Schluss, war ja auch schon sehr lang mittlerweile, das Gespräch. Gleich im Anschluss meldete ich mich aber bei meiner Familie. Sie empfahlen mir auf jeden Fall zu fliegen, da man ja nicht weiß wie lange es noch Flüge geben wird und die Gesundheitsversorgung in den USA ja schlechter ist als in Deutschland. Der Tonfall war dabei energischer als sonst, das kannte ich gar nicht von meinen Eltern. Insgesamt erschien mir das aber immer noch etwas zu panisch reagiert. Da ich wirklich nicht weg aus Reno will, wollte ich erst alle Eventualitäten abklären und mir genug Empfehlungen einholen. Da ich mit vielen Leuten (Freunden und Verwandten) stets hin und her schreibe aktuell, wollte ich deswegen auch offzielle Stellen kontaktieren. Ich verfasste eine E-Mail an das Akademische Auslandsamt der TU, an die Verantwortliche meines PROMOS-Stipendiums und ans OISS (bzw. Rohfassungen davon, die ich später erst abschickte weil Zeit ja immer knapp ist). Außerdem wollte ich mich in die ELEFAND-Liste (auch Deutschenliste genannt) des Auswärtigen Amtes eintragen, um offizielle Anweisungen mitzubekommen und mitzuteilen, dass ich mich gerade hier in Reno befinde. Das funktionierte aber nicht und so schrieb ich auch nochmal eine Mail an das Generalkonsulat in Los Angeles. Wenn schon, denn schon. Das Ganze dauerte eine ganze Weile und machte mich einfach nur fertig, gerade weil die energische Aufforderung meiner Eltern mich doch im Nachhinein schwerer traf als ich mir anmerken ließ. Zum ersten Mal merkte ich, dass ich hier früher oder später weg muss. Und das war an dieser Stelle wohl auch der Tiefpunkt meiner Zeit in Reno. Es war der Punkt, an dem das Bauchgefühl auf einmal nicht mehr positiv gestimmt war. Der Punkt, an dem es in mich eingesunken ist, dass mein Auslandssemester nicht so ausgehen wird, wie gedacht. Dann bekam ich noch die ebenfalls entmutigende Nachricht, dass Oli wohl morgen nach Spanien zurückfliegt. Ich war mehr als froh, als Reggy kurz darauf vorschlug, rauszugehen und im Schnee spazieren zu gehen.

Leute, ich kann euch gar nicht sagen wie gut es tut, nach so viel Stress einfach mal mit Freunden rauszugehen und in der Schneelandschaft rumzulaufen. Es hatte den Tag über echt viel geschneit und es lag so viel Schnee wie noch an keinem anderen Tag zuvor. Ich lief also mit Reggy, Peter, Ema, Joaquin und Jiwon zum Manzanita Lake, wo es auf der Südseite einen kleinen Weg gibt und eine größere Wiese. Aus unserem Spaziergang wurde schnell eine Schneeballschlacht. Auch wenn es super kalt war und ich meine Handschuhe vergessen hatte, war es super! Alle machten mit und Reggy hielt das meiste mit ihrer Kamera fest. Gottseidank blieb ich von großen Attacken verschont, aber z.B. Peter und Ema mussten schon einiges aushalten. :D Nach etwa 30 Minuten konnten wir nicht mehr und gingen wieder zurück zur Sierra Hall. Man merkte es: Das hatten wir alle gebraucht. Frischer Schnee macht eben jeden glücklich!

Ich machte mit Peter anschließend meine Wäsche und wir verabredeten uns zum Dinner in Reggy's Zimmer. Es gab natürlich wieder Domino's. So langsam konnte man es fast nicht mehr sehen, aber es schmeckte immer noch okay. Leider gingen die traurigen Nachrichten weiter. Reggy's Familie hat ihr wohl einen Flug nach Los Angeles gebucht - für morgen. Dort wohnen Freunde der Familie zu denen sie hin soll, da es dort wohl sicherer für sie ist. Wow, das kam schon wieder unerwartet, so wie alles aktuell. Reggy war wohl den ganzen Tag schon in Kontakt mit ihren Eltern und wollte auch deswegen nochmal mit uns raus in den Schnee gehen, weil es vermutlich das letzte Mal sein wird. Es ist wirklich nicht schön. Mit Reggy verband mich irgendwas, hatte ich das Gefühl. Auch wenn wir in vielen oberflächlichen Dingen verschieden sind (sie liebt backen und kochen :D), haben wir glaube ich ein ähnlich ruhiges und entspanntes Temperament. Gefühlt konnte man ihr auch immer alles anvertrauen und stieß auf offene Ohren. Das habe ich immer an ihr geschätzt und genau das wurde mir in dem Moment bewusst. Keinem war heute nach einem Film oder ähnlichem zu Mute. Es war für jeden ein harter Tag. Mehr kann ich auch gar nicht schreiben. Irgendwann sind wir dann alle ins Bett gegangen. Ich bin zwar nach wie vor stets positiv was die kommende Zeit angeht, aber Tage wie heute sind schon nicht einfach. Ich glaube es ist einfach der Fakt, dass alles so schnell geht, man nichts angemessen verarbeiten kann und man keine Zeit hat um Klarheit zu gewinnen. Das macht einen irgendwie fertig. Naja, schauen wir erstmal wie es die nächsten Tage wird. Gefühl kann ja alles passieren!

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Musikempfehlung des Tages: Kodak Black - Patty Cake