25April
2020

7 Dinge, die man im Auslandssemester lernt

Da breche ich nun mit der Tradition, immer wöchentlich, einen Eintrag zu verfassen. Hat ja fast einen Monat gehalten. Aber ich hatte eine Idee, die mir nicht aus dem Kopf ging und die ich unbedingt in Worte fassen musste. Wenn ich so über die Zeit in Reno reflektiere, wird mir immer mehr klar, welche Erfahrungen ich nun eigentlich gemacht habe und ich vergleiche sie mit den Erfahrungen in Deutschland. Man lernt einige Dinge, die einem vorher vielleicht nicht so bewusst waren, mit denen man nicht gerechnet hätte oder die einen einfach bereichern. Nach dem Vorbild der Clickbait-Artikel, die man in hippen Online-Magazinen ja so oft findet, hab ich mal 7 dieser Dinge in einer Liste zusammengefasst.

1. Alle Leute sind im Grunde gleich

Ja, Kulturen sind verschieden. In Indien sind die Hygienestandards nicht so hoch. In Sambia leben die meisten Leute in Blechhütten. In Mexiko muss man in geschlossenen Wohngegenden leben, wenn man viel Geld verdient. Das ist alles richtig. Aber im Kern unterscheiden sich die Leute, die in diesen Kulturen leben, nicht von uns. Ich habe in Reno innerhalb von ein paar Wochen unzählige Leute aus aller Welt kennengelernt und mich ohne Probleme mit ihnen angefreundet. Das funktioniert, weil am Ende jeder hier ist um zu lernen und jeder will die gleichen Dinge unternehmen, isst die gleichen Dinge, will ab und zu Sport machen und möchte Leute kennenlernen und sich mit ihnen austauschen. Die eigene Kultur ist dabei nur der "Hintergrund" von dem man kommt. Die Deutschen mögen gerne spritziges Wasser, während man in Südkorea immer das letzte Stück auf dem Teller übrig lässt. In den USA ist der 16. und der 21. Geburtstag was total besonderes, während es in Kenia normal ist, wenn jemand 10 Kinder hat. Ja, es gibt diese Unterschiede, aber sie beziehen sich nicht auf essentielle, wichtige Dinge. Und diese essentiellen Dinge sind dann eben doch im Grund genommen die selben für jeden. Es verändert die eigene Perspektive. Wenn ich nun im Fernsehen Berichte aus Chile oder den Philippinen sehe, werde ich an Joaquin und Reggy denken und einen anderen Blick auf die Geschehnisse in anderen Ländern haben. Durch dieses Auslandssemester habe ich (gute) Freunde aus unzähligen Ländern gewonnen. Wir sind uns ähnlicher als man glaubt. :)

2. Man kann im Prinzip mit fast jedem auskommen

Auch das habe ich festgestellt. Wenn man in einer unbekannten Umgebung ankommt und niemanden kennt, muss man zwangsläufig mit Leuten reden. Durch die außergewöhnlichen Umstände, habe ich in Reno öfters Leute angesprochen. Und ich muss sagen, fast alle Gespräche waren nett und konstruktiv. Auch im Alltag: Ich hatte zwei Mitbewohner, die ich jeden Tag beim Aufstehen und beim Zu-Bett-Gehen gesehen habe. Daran musste ich mich auch erstmal anpassen. Aber es funktioniert. Wenn man seine eigenen Ansprüche etwas herunterschraubt und offen für neues ist (was man zwangsläufig manchmal tun muss, um sich in einer neuen Umgeung zurechtzufinden), kann man wirklich mit jedem auskommen. Denn im Endeffekt will dir keiner was Böses. Gut, es gibt immer ein paar Leute, mit denen man einfach nicht "klickt". Aber das ist normal. Es geht hauptsächlich um Offenheit und Toleranz. Davon könnten viele Leute ein bisschen mehr gebrauchen. Und manchmal braucht es eben einen längeren Aufenthalt im Ausland oder aber auch nur einen Umzug oder ähnliches, um aus seinem engen Kreis rauszukommen und auch mal Leute kennenzulernen, mit denen man sonst nie reden würde.

3. Jedes Problem ist irgendwie lösbar

Kein Auto und kein ÖPNV? Es gibt Uber und Taxis. Die Mathematik in dieser Hausaufgabe ist total schwer? Geh zum Math Center, dort wird dir geholfen. Eine Pandemie kommt auf dich zu und du bist nicht vorbereitet? Informiere dich und ziehe notfalls die Notbremse. Man wird im Auslandssemester mit vielen Problemen konfrontiert, um die man sich vorher nie kümmern musste. Teilweise geht es dabei um essentielle Dinge wie Geld, soziale Kontakte oder Transport. Und auch wenn man in Deutschland schon recht selbständig ist, befindet man sich nun in einem anderen Land und kann manche Dinge nicht genau so machen, wie man es gewohnt ist. Aber tatsächlich stellt sich heraus, dass es auch wo anders nicht schwer ist, diese neuen Probleme zu lösen. Nur eben auf eine andere Weise. Und zur Not gibt es immer genügend Anlaufstellen, die einem weiterhelfen.

4. Um ein Land zu verstehen, muss man dort gelebt haben

Viele Leute, die ich in Deutschland kenne, haben ein Bild von den USA, das aus den Medien stammt. Die ersten Assoziationen beinhalten meistens Waffen, fette Menschen, Rassismus, Sport, große Autos, BBQ, New York, Sonnenstrände in Kalifornien oder Florida, Trump, Polizei oder was man eben aus Filmen so mitbekommt. Es ist vollkommen okay und verständlich, dass das so ist. Wie soll man auch sonst etwas über ein Land erfahren, wenn nicht über die Medien. Aber ich würde sogar sagen, dass es auch nicht ausreicht, als Tourist in die USA zu fahren. Eine Urlaubsreise gestaltet man selbst und man bekommt das alltägliche Leben nur bedingt mit. Ich habe einiges in meiner Zeit in Reno gelernt, dass ich vorher noch nicht so auf dem Schirm hatte. Man lernt eben den normalen Amerikaner, seinen normalen Tag und seine wirkliche Kultur kennen. Und auch deren Vielfalt. Wie oft muss ich mir anhören, dass die Amerikaner ja (alle) doof seien, weil sie Trump gewählt haben. Wie oft musste ich mir Witze anhören, dass ich aufpassen soll, nicht erschossen zu werden. Und wie oft musste ich mir anhören, dass ich nicht in zwielichtige Gegenden gehen soll. Jetzt wo ich dort gelebt habe, alles mal hautnah miterlebt habe und mit vielen Leuten aus unterschiedlichen Hintergründen gesprochen habe, habe ich einen anderen Blick auf die Dinge. Und sie sind nicht so schwarz und weiß, wie man sie immer wahrnimmt. Wie gesagt, keine Vorwürfe, aber ich finde, einige Leute sollten sich bewusst sein, dass ihr Bild eines Landes eben nur ein Bild ist und nicht die Realität.

5. Man sollte stets im Hier und Jetzt leben

Oh ja, gerade jetzt wo ich nur 2,5 Monate hatte statt 5, weiß ich diesen Punkt noch viel mehr zu schätzen. Wenn man einmal eine begrenzte Zeit irgendwo anders hat (kann auch nur ein Urlaub sein), merkt man, wie viel man an einem Tag schaffen kann und wie gut man den Tag eigentlich nutzen sollte. Denn die Zeit ist ja begrenzt. In dieser Zeit ist es nicht wichtig, was in Zukunft sein wird oder was in der Vergangenheit war. Nur das Hier und Jetzt zählt, denn nur hier und jetzt hat man die Chance, etwas neues zu erleben und die Zeit zu nutzen. Das gleiche Gefühl hat man nicht zuhause (ich zumindest nicht). Und wenn ich ehrlich bin, tue ich mich damit immer noch oft schwer, da ich trotzdem noch zu oft nachdenke und weniger mache. Aber genau da hat mir das Auslandssemester geholfen. Nicht nur, weil es meine allgemeine Sichtweise verändert hat, sondern auch weil ich Leute um mich rum hatte, die mich ab und zu mitgezogen haben und mir gezeigt haben, was alles möglich ist. Morgen Skifahren gehen? Warum eigentlich nicht! Klettern ausprobieren? Kann man durchaus mal machen! Den coolen Fast-Food-Laden um die Ecke ausprobieren? Warum nicht sofort! Mir würden bestimmt noch viele Beispiele einfallen. Manchmal habe ich eben einen Schubser von anderen Leuten gebraucht, um zu sehen, was alles möglich ist, wenn man die Dinge einfach macht. Und zu großer Letzt ist ja die Corona-Krise der größte Lehrer in dieser Hinsicht. Ich bereue es, dass ich einige Dinge nicht sofort gemacht habe, weil ich mir gesagt habe, dass das in Zukunft auch noch geht. Aber genauso sehe ich nun, dass es gut war, dass wir dies und das gleich gemacht haben und nicht noch damit gewartet haben. Klar, manchmal ist das auch ein bisschen optimistisch formuliert (manchmal klappen Dinge einfach nicht, egal wie man es dreht), aber es geht mir hier auch eher um die allgemeine Einstellung. Wenn man merkt, dass man nicht unbegrenzt Zeit hat, blickt man anders auf seinen Alltag.

6. Die Welt ist groß und hat viel zu bieten

Wenn die USA in Nevada und Kalifornien schon so viele schöne, interessante und spannende Seiten zu bieten haben, wie viel gibt es dann noch zu entdecken? Ich war nun schon in vielen Ländern, aber das war hauptsächlich Europa und sonst nur die USA. Da stellt sich mir wirklich die Frage, wie viel es da draußen noch gibt, was ich noch entdecken kann. Reisen ist einfach immer anregend in irgendeiner Form. Man lernt immer irgendwie dazu und man kommt immer irgendwie in Kontakt mit neuen Leuten. Und auch so kleine Dinge wie lokale Gerichte, lokaler öffentlicher Nahverkehr oder lokaler Sport. Es gibt so vieles auf dieser Welt. Als Tourist bekommt man davon natürlich auch schon sehr viel mit. Nun wo ich aber wirklich im Ausland gelebt habe, sehe ich das Ganze noch von einer anderen Seite. Ich sehe Orte der Welt nun auch von der Seite der lokalen Bevölkerung. Überall wohnen Leute, genauso wie ich es in Reno getan habe. Und deren Alltag zu erleben finde ich einen spannenden Gedanken. Aber selbst wenn es nur als Tourist ist, werde ich mich nie über eine Reise in eine neue Gegend beklagen. :)

7. Erfahrungen sind mehr wert als man denkt

Woran erinnere ich mich am Ende? Nicht an das Wissen, das ich in Climatology oder GIS I erlangt habe und auch nicht an das Geld, das ich für die ganzen Nevada-Shirts usw. ausgegeben habe. Ich erinnere mich an den verrückten Abend in The Loving Cup, an die College-Basketballspiele und an den letzten Abend, an dem ich mit einem Mietauto zu Chili's gefahren bin. Jeder weiß zwar, dass Erlebnisse wichtiger sind als z.B. materielle Dinge. Aber wann lebt man das schon richtig? Am Ende kauft man sich dann doch immer wieder irgendwelche Sachen, surft im Internet nach interessanten Inhalten oder läuft immer die gleiche Runde um den Block. Neue Erlebnisse, einmalige Erfahrungen mit anderen und auch nur kleine lustige Anekdoten sind so viel mehr wert. Und in einem solchen Auslandssemester hat man quasi Tag für Tag die Möglichkeit, diese Erinnerungen zu formen. Auch wenn das nun etwas schwerer ist, da ich wieder zuhause bin (und eh gerade nicht rauskann), will ich diesen Spirit nun noch mehr in den Mittelpunkt stellen. Wenn ich das nächste Mal eine wichtige (oder auch eine unwichtige) Entscheidung treffen muss, entscheide ich mich für das, was mich am Ende weiterbringt und was mir tolle Erlebnisse verschafft. Und auch negative Erfahrungen sind Erfahrungen. Auch Rückschläge oder unschöne Erlebnisse bringen einen weiter. Auch hier wären wir dann wieder dabei: Manchmal muss man es einfach machen!

Mir ist beim Schreiben aufgefallen, dass viele dieser Punkte ineinander greifen und sich zum Teil auch überlappen. Das zeigt, dass eine Erfahrung manchmal eine andere mit sich bringt. Ich kann am Ende dieses (viel zu kurzen) Auslandssemesters sagen, dass es mir vieles gebracht hat, was ich hier in Deutschland nicht in der Form hätte erleben können. Und ich glaube dieses "Mal-raus-kommen" ist die Hauptsache bei dem Ganzen. Es muss nicht unbedingt ein Auslandssemester sein, aber einfach mal aus seinem Alltag ausbrechen und einen anderen Alltag irgendwo anders leben - das ist es eigentlich schon. Es kann einen eigentlich nur weiterbringen.

So, jetzt hab ich mich mal wieder über "deepe" Themen ausgelassen. Mir war einfach danach und dann hab ich einfach drauf losgeschrieben. Lieber sofort machen, oder? :) Ich hoffe, man kann so ein bisschen verstehen, was ich mit dem Eintrag rüberbringen wollte. Ein richtiger Journalist hätte das bestimmt viel strukturierter formuliert. Aber da ich keiner bin, ist mir das dann doch zu einem gewissen Punkt egal. :D Bis bald!

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