03Juni
2020

#blacklivesmatter

Eigentlich hatte ich für heute einen weiteren Eintrag über das amerikanische Hochschulsystem geplant. Die aktuellen Ereignisse haben mich allerdings umdenken lassen und ich glaube auch auf diesem Blog kann ich ein bisschen zum Thema Rassismus in den USA und allgemein beitragen - und wenn es nur das Äußern meiner subjektiven Gedanken ist. Vielleicht wird der Eintrag ein bisschen sperrig, großkotzig oder politisch, aber bei einem solchen Thema ist das glaube ich zwangsläufig so. Und wenn auch nur ein Leser danach schlauer ist als zuvor, dann hat sich dieser Versuch eines Einblicks sowieso schon gelohnt.

In den USA gibt es gerade Proteste die entflammt sind, nachdem der schwarze George Floyd in Minneapolis sinnlos von einem weißen Polizisten getötet wurde. Wenn man dem Ganzen auf Social Media etwas folgt, ist man bestimmt auch vorher immer wieder auf solche Zwischenfälle gestoßen. Alleine als ich in Reno lebte, machten die Geschichten von Ahmaud Arbery (im Süden Georgias einfach so beim Joggen erschossen) und Breonna Taylor (in Louisville bei einer unangekündigten Polizeikontrolle in ihrer Wohnung im Schlaf erschossen) die Runde. Und auch vorher gab es immer wieder solche Vorfälle. Ich denke der Fakt, dass der Tod George Floyd so offensichtlich unnötig und falsch war und dass der Vorfall so direkt und in guter Auflösung gefilmt wurde, ließ das Ganze diesmal explodieren. Und mich wundert es nicht. Es muss sich in diesem Land etwas ändern, sowohl was Polizeigewalt als auch was Rassismus angeht. Und es ist irgendwie schön zu sehen, dass sich diesmal wirklich etwas bewegt. Von allen Seiten wird der Mord diesmal verunglimpft. Auf Social Media beziehen so viele Leute Stellung wie noch nie und in allen 50 US-Bundesstaaten (wann gab es das schon mal?) sowie im Rest der Welt (auch in Deutschland) wird protestiert. Auch in Reno gab es wohl schon Proteste, die zunächst friedlich verlaufen sind, später aber auch gewalttätig geworden sind. Offenbar wurden die Scheiben des Rathauses zerstört, eine historische USA-Flagge aus einem Museum gestohlen und die Bürgermeisterin hat nun eine Ausgangssperre für alle Einwohner Renos erlassen - auf unbestimmte Zeit. Wahnsinn, wer hätte das gedacht, als ich Anfang Januar zum ersten Mal durch Downtown lief? Dass all das passieren würde?

Aber dieser Blog soll ja auch ein bisschen meine Erfahrungen widerspiegeln. Was habe ich also für Erfahrungen hinsichtlich der schwarzen Community und Rassismus in den USA gemacht? Nun, man merkt auf jeden Fall, dass es ein strukturelles Problem ist. Das habe ich nicht nur in Reno gesehen, sondern in quasi jeder größeren Stadt, die ich in den USA schon besucht habe. Wenn man nach Downtown geht sieht man es unweigerlich: In den Casinos sitzen mehrheitlich Weiße, vor den Casinos sitzen schwarze Obdachlose. Entfernt man sich auch nur eine Straße weg von den Casinos, so sieht man sofort heruntergekommene Häuser, nicht sehr einladende Geschäfte und brachliegende Grundstücke. Und eben arme Leute. Und von denen sind die meisten Schwarze. Auch beim Walmart in der 2nd Street hat man es deutlich gesehen. Es gab immer einige schwarze Leute, die vor dem Geschäft saßen und auch das allgemeine Klientel im Laden war "durchmischter" als die anderen Walmarts in Reno. Weil dieser Walmart eben der näheste für Leute in Downtown ist. Auch die Busse wurden mehrheitlich von Schwarzen und anderen Minderheiten genutzt. Eben von den Leuten, die kein Auto haben. Ich möchte an dieser Stelle darauf hinweisen, dass in Nevada, sowie im ganzen Südwesten der USA eine andere Minderheit viel zahlreicher vertreten ist: Latinos. All das was ich hier gerade über Schwarze erzähle, trifft auch auf Latinos zu, wobei ich hier trotzdem einen Unterschied sehen konnte, den ich mal drastisch formuliere: Latinos haben meistens Jobs. Während mir in ganz Reno schwarze Leute immer nur in der Downtown-Gegend und dort meistens in Armut und Obdachlosigkeit begegnet sind, findet man Latinos oft in Form von Putzfrauen in den Wohnheimen und Unigebäuden, als Verkäufer in Supermärkten oder als Mitarbeiter in Fast-Food-Restaurants. Klar, da etwa 25% der Einwohner Renos Latinos sind, ist das auch nicht verwunderlich. Sie müssen quasi Teil der Gesellschaft sein. Der Anteil Schwarzer ist da deutlich geringer (Wikipedia sagt etwa 3%). Aber wie sah das im Unialltag aus? Natürlich ist das eine andere Geschichte. Der Unicampus ist ein Mikrokosmos in sich. Und noch dazu einer mit gebildeten Leuten. Bis auf die oben erwähnten Putzfrauen könnte man meinen, dass hier jeder gleich behandelt wird unabhängig seiner Hautfarbe und Herkunft. Und das würde ich auch so unterschreiben, denn (fast) alle Studenten, Professoren und Mitarbeiter, die ich kennengelernt habe sind überaus offen und herzlich jedem gegenüber. Alleine die Diversität, die man auf dem Campus jeden Tag sieht, ist Ausdruck für die Vielfalt der Studentenschaft. Ihr wisst ja mittlerweile, dass es internationale Studenten aus allen Ecken der Welt gibt, aber auch unter den amerikanischen Studenten habe ich Leute jeglicher Couleur kennengelernt. Und das war eine überaus schöne Atmosphäre. Dennoch möchte ich auch hier nicht nur loben. Selbst wenn ich die Einzelfälle von Rassismus auf dem Campus, die ich von einigen Leuten gehört habe, ausblende, so bleiben doch noch einige Dinge, die man anprangern kann. Warum habe ich oben "fast" in Klammern geschrieben? Ich habe dabei speziell an den Typen von "Turning Point" gedacht, mit dem ich mich eine halbe Stunde über Waffengewalt in den USA unterhalten hatte und der aktiv gegen Bernie Sanders protestiert. Auch solche Leute und deren Organisationen gibt es auf dem Campus und auch wenn ich es nicht direkt gesehen habe, vermute ich, dass da doch noch eine ganze Menge Rassismus vergraben liegt. Auch der Fakt, dass es Clubs gegen Rassismus und spezielle Clubs für schwarze, lateinamerikanische oder asiatische Studenten gibt, zeigt finde ich, dass manchmal noch ein Dialog fehlt, den solche Clubs zu initiieren versuchen. Zu guter Letzt könnte man auch die Student Athletes als Beispiel heranziehen. Im Basketballteam gibt es viel mehr schwarze als weiße Sportler. Auch andere Sportarten haben einen überdurchschnittlichen Anteil schwarzer Sportler, wenn man es mit der allgemeinen Studentenschaft vergleicht. Da diese Leute ja meistens von der Uni angeworben werden, könnte man die überspitzte These aufstellen, dass man sich Schwarze nur dann holt, wenn sie für einen Leistung abliefern. Sonst sieht man sie nämlich auch deutlich unterrepräsentiert unter den Studenten. Zugegeben, das mag ein wenig übertrieben sein zumal ich ja schon erzählt habe, dass es allgemein wenig Schwarze in Reno gibt, aber es ist dennoch ein Gedanke der mir in den letzten Tagen kam. Denn wo habe ich schwarze Leute in Reno am meisten gesehen? Auf den Straßen in Downtown und in der Basketballarena.

Rassismus ist also deutlich sichtbar in den USA für jeden. Dennoch war es kein großes Thema für mich, als ich dort war. Warum? Weil ich Weißer bin und damit privilegiert. Ich hab nichts dergleichen direkt gesehen oder erfahren. Aber ich habe im Zuge der aktuellen Demonstrationen viel gelernt. Und ich würde aktuell eine Aussage über mich treffen, die ich vorher empört zurückgewiesen hätte: Ich bin Teil des Problems! Klar, keiner wird als Rassist geboren, aber wir leben (auch hier in Deutschland) in einer Gesellschaft, die von strukturellem Rassismus geprägt ist. Und der agiert eben manchmal auch unterbewusst. Denn es ist einfach zu sagen, dass man kein Rassist ist und dass man alle Menschen für gleich erachtet. Aber bringt das etwas? Das was ich aktuell oft von schwarzen Aktivisten in den sozialen Medien lese, ist dass es nicht genügt, kein Rassist zu sein, sondern man sich offen gegen Rassismus aussprechen soll. Es gibt ein interessantes Video das gerade kursiert, bei dem ein Publikum aus weißen Leuten darum gebeten wird aufzustehen, wenn jemand dazu bereit ist, die gleiche Behandlung wie schwarze Leute zu bekommen. Natürlich steht keiner auf. Weil jeder weiß, was los ist, aber dennoch nichts dagegen unternimmt sondern es einfach akzeptiert. Das darf man nicht falsch verstehen, es ist nicht unsere Schuld. Man meint es ja nicht böse. Aber dennoch sollte man sich nicht einfach auf seinen Privilegien ausruhen, weil man das Ganze dann ja nur mitträgt und nicht verändert. Und dazu muss man eben den Tatsachen ins Auge sehen. Auch ich habe mich unsicherer gefühlt wenn ich schwarze Männer an der Straßenecke in den USA gesehen habe. In Deutschland ist der Impuls einer Grupper arabisch aussehender Leute aus dem Weg zu gehen höher als bei einer Gruppe weißer Leute. So empfinde ich nicht, aber tief in mir drin sitzt da irgendwas, was dann eben doch solche Impulse hervorruft. Für deren Existenz bin ich nicht verantwortlich, aber ich bin dafür verantwortlich sie zu bekämpfen. Vielleicht merkt ihr gerade, dass es anstrengend ist, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Und das ist es auch. Und noch dazu ist es komplex. Vor allem ist das was ich mache auch gar nicht so optimal. Denn meine Sicht auf Rassismus als Weißer ist nicht die, auf die man hören sollte. Wenn ihr euch wirklich damit beschäftigen wollt: Informiert euch, folgt schwarzen Aktivisten auf Social Media, kauft euch Bücher von schwarzen Autoren oder schaut euch Filme und Dokus von schwarzen Regisseuren und Produzenten an. Nur wenn wir dazu bereit sind, diesen Leuten zuzuhören und die Geschichte kennenzulernen, können wir echtes Verständnis und echte Veränderungen schaffen. Keine Sorge, keiner muss jetzt zum Aktivisten werden. Auch ich habe nicht dauernd Lust mich mit so einem schwerwiegenden und unattraktiven Thema zu beschäftigen. Aber jede kleine Aktion, die zu mehr Verständnis und mehr Bildung führt ist wertvoll. Ich möchte an dieser Stelle zwei Links anführen, die Einblicke in die aktuelle Situation in den USA und deren Ursprünge geben. Zunächst ein Video des genialen Late-Night-Show-Moderators und Comedians Trevor Noah, der über die aktuellen Ereignisse in einem Monolog reflektiert (Link, englisch). Außerdem eine Dokumentation der schwarzen Regisseurin Ava DuVernay, die die Geschichte der Unterdrückung von Schwarzen durch Weiße erläutert und die zeigt, wie struktureller Rassismus aktuell in den USA funktioniert (Link, englisch mit deutschen Untertiteln / auch auf Netflix verfügbar). Beides hat mich das Problem ein bisschen mehr verstehen lassen und ich denke es ist schon viel geholfen, wenn sich die Leute zumindest bewusst sind, worum es bei den Protesten eigentlich geht. Außerdem hat sich unter anderem durch diese Einblicke meine Meinung zu den gewaltsamen Ausschreitungen am Rande der Proteste in den USA geändert. Ich höre viele Leute jetzt auch vor allem aus Deutschland aus sagen: Mensch, die protestieren für solch eine gute Sache und dann machen sie es sich selber kaputt und schlagen Scheiben ein und plündern Läden. Gewalt ist natürlich zu verurteilen (sowieso immer!), aber der Fakt, dass viele (weiße) Leute sich eher um solche Ausschreitungen zu kümmern scheinen als um die tagtägliche Gewalt gegen Schwarze durch die Polizei (die sie eigentlich schützen sollte), zeigt, dass man offenbar lieber über die Art der Demonstration redet, als über das viel größere Problem um das es eigentlich geht. Außerdem hat man es ja vor ein paar Jahren gewaltlos versucht. Als der Football-Quarterback Colin Kaepernick sich vor jedem Spiel während der amerikanischen Nationalhymne hinkniete um gegen Polizeigewalt gegen Schwarze zu protestieren, wurde er aus der Liga geschmissen, vom Präsidenten als unamerikanisch verumglimpft und von vielen weißen Leuten zutiefst diskreditiert. Passiert ist nichts. Kaepernick spielte übrigens vor seiner NFL-Karriere College-Football für das Nevada Wolf Pack in Reno. Er ist bis heute der bekannteste Athlet der Uni.

-

Musikempfehlung des Tages: Childish Gambino - This Is America