08April
2020

Im Gedankenkarussell

Ich bin nun schon eine Weile zuhause in meinem Zimmer, mehr oder weniger in Isolation. Da hat man wirklich viel Zeit nachzudenken. Und da ich ja so schon immer zu viel über alles nachdenke, multipliziert sich das aktuell. Ich will diesen Blogeintrag nutzen um mir ein bisschen was von der Seele zu schreiben.

Wir alle gehen gerade durch eine schwere Zeit. Von daher bin ich bei weitem nicht der einzige, den es hart getroffen hat, auch wenn es sich manchmal so anfühlt. Zu jedem anderen Zeitpunkt in den letzten 15 Jahren hätte mir eine globale Pandemie besser gepasst. Na gut, vielleicht nicht kurz vor meinem Florida-Austausch 2018 und auch nicht vor einigen coolen Reisen, aber ihr wisst worauf ich hinaus will. Ich bin es allgemein gewohnt, alleine zuhause zu sitzen. Als introvertierter Mensch finde ich das oft sogar sehr angenehm. Aber es führt auch ab und zu dazu, dass ich lieber über Dinge nachdenke, als sie wirklich zu machen. Und das gilt es zu ändern! Ich hatte nämlich immer das Gefühl, dass meine Uni- als auch meine persönliche Karriere erst ein bisschen Zeit gebraucht haben um Fahrt aufzunehmen. Erst in den letzten 2-3 Jahren hatte ich das Gefühl, dass ich langsam ankomme im Studentenleben. Ich ging erst in diesen Jahren voll darin auf. Zu schade, dass ich da schon im Master war. Ich wollte also nicht, dass das Ganze so schnell zu Ende ist. Außerdem hatte ich karrieretechnisch immer noch keinen Plan und ich wollte noch viel mehr der Angebote nutzen, die man als Student so hat. Ein Auslandssemester in den USA - das wär's! Es gäbe mir die Möglichkeit, meine Zukunft nochmal neu zu durchdenken und mein Studienfach mal von einer anderen Perspektive aus zu betrachten (wenn man 5 Jahre mit den gleichen Professoren zu tun hat, verliert man nämlich so ein bisschen die Weitsicht). Es würde im Lebenslauf gut aussehen und ich würde Connections in den USA aufbauen. Ich könnte endlich in das College-Leben eintauchen, dass mich schon immer fasziniert hat, gerade auch nachdem ich in Florida damals einen kleinen Einblick bekommen hatte. Ich könnte endlich mal wieder raus aus meinem Trott kommen, neues Selbstvertrauen finden, neue Kontakte knüpfen und mein Weltbild erweitern. Noch dazu könnte ich endlich besser an mir persönlich arbeiten. Und wer weiß, was in 4 Monaten an einem amerikanischen College noch so passiert? Ich würde endlich mal machen, statt immer nur rumzugrübeln! Ich bewarb mich also. Gerade Reno als Standort fand ich super spannend, da es perfekt zu meinem Studienfach passt und ich seitdem ich in Las Vegas mit der Familie war, irgendwie auch ein Faible für Nevada hatte. Es ist mit seiner Casino-Kultur und dem unüblichen Layout (zwei große Städte und sonst nur Wüste) irgendwie total faszinierend. Ihr könnt euch also bestimmt vorstellen, wie unglaublich glücklich ich war, als die Zusage kam! Der Traum wurde wahr! Und was dann passierte ist ja ausführlich in diesem Blog festgehalten. :)

Nun aber das. Ich sitze zuhause im Haus meiner Familie und schreibe diesen dramatischen Eintrag, wo ich doch eigentlich jetzt gerade im Mackay Science Building sitzen und mir einen Vortrag vom wöchentlichen Geography Colloquium anhören sollte. Danach würde ich vielleicht zum Tennis-Training fahren und dann in "The Den" gemütlich mit meinen Leuten zu Abend essen. Glaubt mir, ich weiß, dass ich eigentlich nicht so denken sollte, denn es ist nun mal so wie es ist und ich kann nichts dran ändern. Selbst wenn ich in Reno geblieben wäre, wäre all das was ich bisher erlebt hätte vorbei gewesen und ich wäre vermutlich die ganze Zeit quasi alleine in der Sierra Hall rumgesessen mit Anrufen von besorgten Eltern und Zweifeln, ob das angesichts der steigenden Infektionszahlen in den USA wirklich die richtige Idee war. Aber irgendwie geht es halt einem doch nicht aus dem Kopf. Man denkt sich ständig, warum gerade jetzt? Warum gerade in dem einen Semester, das ich hernehmen wollte, um in meinem Leben weiterzukommen, meinen zukünftigen Weg neu zu formen und mal so richtig das Studentendasein auszukosten? Es liegt eine gewisse Ironie in der ganzen Sache, findet ihr nicht auch?

Von der Uni-Seite her ist es ja eigentlich noch gar nicht vorbei. Ich belege weiterhin meine Kurse, höre mir die Online-Vorlesungen an und mache meine Hausaufgaben. Aber alles andere ist es eben. Außerdem ist es viel schwerer sich zu motivieren, wenn man kein motivierendes Umfeld hat (nichts gegen unser Haus, aber im Vergleich zum Konferenzraum in der Sierra Hall und Freunden, die auch arbeiten... nein). Man könnte jetzt sagen, dass man die Zeit nun trotzdem nutzen kann und so viele Dinge tun kann, die man immer schon mal machen wollte. Es gibt so viele Möglichkeiten. Einzig die Motivation fehlt. Ich bin ja aktuell immer mal wieder dabei, ältere Blogeinträge zu vervollständigen. Außerdem sortiere ich ab und zu Fotos und stelle sie schön in einer Diashow zusammen. Es ist härter als anfangs gedacht, denn man wird jedes Mal an die tolle Zeit zurückerinnert. Das an sich ist ja eigentlich nicht schlimm, sondern eher schön. Es ist eher der Fakt, dass man nun darauf zurückblickt und merkt, hey, das war das letzte Wochenende an dem alles normal war. Hier beim Eislaufen hätten wir nicht gedacht, dass wir in zwei Monaten schon alle wieder zurückfliegen würden. Die Fahrt nach San Francisco war rückblickend die einzige längere Reise die wir machen würden. Hier beim Skifahren überlegten wir noch, wann wir das nächste Mal dafür Zeit hätten. Joaquin's Geburtstag war cool, schade dass es der letzte war, den wir feiern konnten. Hier, dieses Unigebäude, da hätte ich ruhig mal reinschauen sollen. Hier dieses lustige Foto in der Mensa, wer hätte gedacht, dass sie ein paar Wochen später schließen würde? Hier das Foto mit uns allen in der Lobby. Es war unser letztes Foto zusammen. Ich denke ihr seht was ich meine. Manchmal benutze ich auch unsere WhatsApp-Verläufe, um Tage für fehlende Blogeinträge zu rekonstruieren. Wenn ich nun lese, dass Leute schreiben, dass sie auf jeden Fall hierbleiben werden, ist das schon irgendwie traurig. Es wird einem bewusst, dass man niemals weiß was kommt. Und vor allem, dass man die Zeit nutzen soll, die man hat. Ich bereue es total, dass ich die Geodäsie-Professoren der UNR nicht einmal kontaktiert hatte. Ich wollte das nach Spring Break machen. Gott, wie doof! Ich bereue es total, mich nicht mit Cynthia getroffen zu haben (eine Studentin aus Reno, die ich in Dresden kennengelernt hatte und mit der ich das ausgemacht hatte). Auch das wollte ich dummerweise nach Spring Break machen. Ich bereue es, dass ich manche Aktivitäten nicht mitgemacht habe, manche Gelegenheiten nicht genutzt habe, manche Dinge nicht gesagt habe. Das alles wird einem nach und nach klar. Und in Isolation kann man sich diesen Gedanken nur schlecht entziehen.

Aber ich will das Ganze jetzt auch nicht schwärzer malen als es ist. Ich bin ja auch erwachsen und weiß, dass ich nicht so denken sollte. Keiner ist perfekt und keiner konnte damit rechnen. Außerdem lässt sich die Vergangenheit nicht ändern und Gedanken über die Zukunft sind eh alle nur hypothetisch. Ich sollte froh sein, dass die Pandemie zumindest so lange gewartet hat, dass ich noch 2,5 schöne Monate in Reno verbringen konnte. Es war die schönste Zeit meines Lebens (würde ich hier mal so vorsichtig sagen) und das kann mir keiner wegnehmen. Ich habe eine Menge neuer Freunde gefunden, eine Menge neuer Dinge ausprobiert und den amerikanischen Spirit so richtig ausgekostet und gelebt. Und wenn das nichts ist dann weiß ich auch nicht! Ich sollte den Aufenthalt also nicht auf dessen Ende reduzieren, sondern die Dinge feiern, die ich erleben durfte. Nur wie gesagt, leider ist das in der aktuellen Lage nicht immer einfach. Auch wenn der Kopf all diese Fakten kennt, ist das Herz oft noch nicht bereit, diese zu verinnerlichen. Aber vielleicht ist das gerade auch gar nicht schlimm. Es ist okay, dem Ganzen nachzutrauern. Und mal ehrlich, wer ist in der aktuell Situation schon permanent glücklich und optimistisch? Außerdem zeigt es, wie wichtig und prägend diese Zeit war. Zu wichtig um zwei Wochen später einfach ganz normal weiterzumachen. Wir werden sehen, wie sich das Ganze entwickelt. Erstmal bin ich eigentlich noch ganz froh, dass der Alltag gerade stillsteht. Würde es jetzt einfach so weitergehen wie bisher, würde es sich falsch anfühlen. Ich weiß, dass dieser Eintrag ein bisschen sehr melancholisch daherkommt. Aber wenn ich jetzt einen allgemeinen Eintrag über die letzte Woche verfasst hätte, wäre das glaube ich auch nicht richtig gewesen. Manchmal braucht man eben ein kleines Ventil um ein bisschen Dampf abzulassen. Ich hoffe euch geht es auch weiterhin gut und ihr bleibt schön drin! Ihr hört von mir, ich habe noch so viele Ideen, wie ich diesen Blog weiterführen kann. Und wie gesagt, alte Blogeinträge werden sporadisch geupdated! :)

-

Musikempfehlung des Tages: Post Malone - Myself