26März
2020

Leere

Diesen Blogeintrag habe ich nachträglich am 8.1. verfasst. Ja, ich weiß das ist ein bisschen spät, aber alle unvollständigen Blogeinträge müssen eben irgendwann vervollständigt werden und da gilt besser spät als nie! Auch wenn ich mich nicht mehr an alle Einzelheiten erinnern kann, gibt es dennoch vieles was ich von diesem (auf traurige Weise besonderen) Tag noch weiß. Und das will ich euch nicht vorenthalten. Hier kommt der Eintrag:

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Ich konnte während des ganzen Flugs gerade einmal etwa eine Stunde richtig schlafen. Ich wollte ja, aber es ging einfach nicht. Ich war echt lange mit dem Instagram-Post beschäftigt und was anspruchsvolles anschauen wollte ich auch irgendwie nicht. Am Ende schaute ich einen der Harry Potter-Filme (ich glaube es war der dritte), aber das auch nur damit irgendwas lief. So abwesend habe ich mich noch nie während eines Flugs gefühlt. Ein Gefühl der Leere in gewisser Hinsicht. Auch die Länge von ca. 11 Stunden machte mir nichts aus. Ab einem gewissen Punkt lässt sich das eh schwer von z.B. einem 8h-Flug unterscheiden. Naja, irgendwann wurde es hell und die Leute wachten langsam auf. Es gab nochmal Frühstück und schon bald befanden wir uns im Landeanflug auf Frankfurt. Ich blickte aus dem Fenster und irgendwie kam mir alles so unwirklich vor. Es sah aus wie Deutschland, aber man fühlte irgendwie, dass sich was verändert hatte. Ich bilde mir ein, dass man den Effekt durch Corona aus der Luft gemerkt hatte. Ich fühlte mich leider sofort fehl am Platz. Als wir auf die Rollbahn aufsetzten verstärkte sich das Gefühl. Das kann doch nicht wahr sein, dass ich jetzt wirklich wieder hier bin? Ich sollte jetzt nicht hier sein! Auch wenn ich natürlich wusste, dass das alles eine Ausnahmesituation ist und ich mich langsam dran gewöhnt hatte, so schwer kann man das doch in der Situation von seinen Emotionen trennen. Besonders in genau solchen Momenten. Auch wenn Diana ein ähnliches Gefühl hatte, glaube ich, dass sie auch ein bisschen erleichtert war, jetzt wieder hier zu sein und dass sie nun dem Corona-Wahnsinn zusammen mit ihrer Familie begegnen kann. Wir fuhren ans Gate und gerade als eigentlich alle aussteigen sollten meldete sich der Pilot. Offenbar gab es während wir in der Luft waren eine Gesetzesänderung. Es gibt jetzt wohl eine bestimmte Regel, die wir zur Senkung des Infektionsrisikos befolgen müssen. Zunächst muss das Flugzeug 15 Minuten einfach so am Gate stehen, damit das Personal am Boden schon mal damit angefangen kann, das Gepäck auszuräumen. Danach dürfen immer nur 40 Leute auf einmal das Flugezug verlassen - in 5-Minuten-Abständen. So sollen möglichst wenig Menschen sich über den Weg laufen. Wie das das Infektionsrisiko senken soll hat jedoch keiner so wirklich verstanden. Immerhin saßen hier gerade knapp 11h etwa 300 Menschen dicht an dicht zusammen. Aber nun gut, das muss man jetzt einfach so akzeptieren. Übrigens habe ich beim Schreiben dieser Zeilen online einen Artikel gefunden von einem Journalisten, der seine Heimreise in Corona-Zeiten beschreibt und der offenbar mit uns im gleichen Flieger saß. Witzige Geschichte. Falls euch das interessiert, gibt es hier den Link dazu. Natürlich waren die Leute im hinteren Teil des Fliegers als letztes dran. Das heißt auch Diana und ich mussten warten, bis fast alle anderen Passagiere ausgestiegen waren. Dann, nachdem wir eine Stunde zusätzlich auf unserem Sitz ausgehalten hatten, durften wir endlich raus. Wir bedankten uns bei den Flugbegleitern und dem Piloten und betraten das Flughafengebäude. Wir kamen sofort ans Gepäckband, wo zwar schon viele Koffer standen oder noch auf dem Band rumfuhren, aber vor dem sich trotzdem eine Menschentraube gebildet hatte. Hat ja gut geklappt. Unsere Koffer kamen gottseidank recht schnell und wir liefen Richtung Ausgang. Tja, und da stand ich dann auf einmal wieder in der Eingangshalle in der ich das letzte Mal am 9. Januar gestanden hatte als die ganze Sache losgegangen war. Komisches Gefühl - wie so oft.

Wie es weiterging, hatten wir bisher nur besprochen, aber wir hatten nichts fest gebucht. Beide unsere Familien wollten uns nicht abholen (was auch verständlich ist) und so blieb nur der Zug übrig. Wir fuhren ins Untergeschoss des Flughafens wo sich der DB-Schalter befand. Da wir beide unterschiedliche Ziele hatten, ließ ich Diana vor und rief derweil nochmal zuhause an. Es dauerte allerdings nicht lange, dann kam Diana auch schon mit einem Ticket zurück. Also begab auch ich mich durch die befremdlichen Absperrungen im ansonsten total leeren Schalterraum und fragte den Mitarbeiter, wie ich das jetzt machen soll, welches Ticket ich am besten kaufen soll und wie sich das überhaupt jetzt mit Corona und der Bahn verhält. Dieser gab mir bereitwillig Auskunft und suchte mir das günstigste Ticket raus. Allgemein war der sichtlich junge Mitarbeiter trotz Pandemie-Situation richtig gut drauf, was gleich etwas auf mich abfärbte. Ein bisschen positive Vibes konnte ich echt gebrauchen. Wenn der Typ wüsste, welchen Effekt er auf Kunden hat. Solche Mitarbeiter verdienen eine Gehaltserhöhung - immer! :D Ich kaufte mein Ticket für um die 50€ (was wirklich viel günstiger war als ich gedacht hatte) und gesellte mich wieder zu Diana, die auch mit ihrer Familie telefoniert hatte. Wir liefen weiter und hinter der nächsten Ecke tauchten auch schon die Rolltreppen zum Flughafenbahnhof Frankfurt auf. Auf der zweiten Rolltreppe sprach mich jemand von hinten an und sagte, dass ich mit meinem Multifunktionstuch, das ich über der Nase trug, aussehe wie ein Gangster. Es war ein junger, etwas "assi" wirkender Typ, der das aber ganz spaßig meinte. Und ich fand es cool. Denn ich realisierte, dass das in den USA jetzt ganz normal gewesen wäre. Da sprechen einen Leute einfach öfters ungezwungen an. Und ich finde das eigentlich viel schöner, als immer nur dieses Kalte, dieses Genervt-nach-unten-Geblicke und dieses Egoistische. Diana und ich waren uns einig, dass wir zumindest versuchen wollen, diesen amerikanischen "Spirit" mit nach Deutschland zu nehmen. Das würde unserer Gesellschaft wirklich einmal gut tun. Wir mussten glücklicherweise zum gleichen Gleis, den wir auch recht fix erreichten. Leider nahm Diana den Zug nach Leipzig und ich den nach Nürnberg. Ihrer kam schon recht bald, meiner etwa eine halbe Stunde danach. Das heißt, dass ich mich gleich auch von der letzten Person aus meinem Reno-Umfeld verabschieden musste. Tja, Diana war die erste und die letzte Person, die mich in Reno begleitet hat und ich hab ihr viel zu verdanken. Gerade zu Beginn tat es damals gut, jemanden dabei zu haben, der in der gleichen Situation wie ich steckt. Und immerhin war sie diejenige, die sich am Anfang als erstes mit Aurora angefreundet hatte, was ultimativ zur Gründung unserer Freundesgruppe führte. Ohne sie hätte dieser Auslandsaufenthalt ganz anders ausgesehen, da bin ich mir sicher! Wir unterhielten uns noch eine Weile auf einer freien Bank am Gleis, der genug Abstand von den anderen wartenden Leuten hatte. Dann kam ihr Zug, wir umarmten uns kurz und schon war sie verschwunden. Es erstaunt mich immer wieder wie schnell das in dem Moment doch geht. Ich bin wirklich gespannt, wann wir uns wieder sehen werden. In der gleichen Stadt wohnen wir ja schon mal. :)

Ich vertrieb mir noch ein bisschen die Zeit, bis irgendwann auch mein ICE einfuhr. Ich stieg ein und fand einen absolut leeren Zug vor. Sowas hatte ich wirklich noch nicht gesehen, gerade im Fernverkehr. Ich meine, es war wirklich niemand drin. Gut, ich hab mir nicht alle Waggons angeschaut, aber die zwei drei die ich gesehen habe, waren (ich glaube bis auf eine einzige Person) leer. Ich setzte mich ins Eck eines leeren Waggons ans Fenster und war froh, dass ich hier sogar meine "Maske" ein bisschen runterziehen kann. Ist ja eh keiner hier. Einmal kam die Kontrolleurin rein und checkte mein Ticket. Das wars dann aber auch. Es dauerte gar nicht so lange, bis der Zug in Nürnberg ankam. Es war nun etwa Mittagszeit und ich brauchte unbedingt was zu essen. Gottseidank hatte ich genug Umsteigezeit und am Nürnberger Hauptbahnhof gab es so einiges an Auswahl. Vollbepackt ging ich in die Einkaufs- und Essenshalle und überlegte, was ich mir holen soll. Ich wollte den amerikanischen Traditionen noch nicht lebewohl sagen, daher lief es auf Burger King oder Subway hinaus. Am Ende entschied ich mich für Subway. In dem kleinen Laden waren auch wieder Absperrbänder auf den Boden geklebt, die Mitarbeiter trugen Masken, Plexiglas war auf der Theke aufgebaut und es gab keine Sitzplätze. Mir wurde nochmal bewusst, wie verrückt diese ganze Situation doch ist. Wer hätte gedacht, dass wir mal sowas erleben werden? Ich bestellte mir ein Footlong-Sandwich und ging damit wieder zurück zu den Gleisen. Jetzt würde ich gleich in einen Regionalzug einsteigen. Damit bin ich dann endgültig aus dem Globetrotter-Leben raus, dachte ich mir. Naja, es muss eben sein. Der Zug kam dann auch recht schnell und war natürlich wieder fast komplett leer. Ich setzte mich an einen Vierertisch in einem ansonsten leeren Waggonabteil. Meine Sachen schmiss ich auf den anderen Vierersitz neben mir. Leider passte mein großer Koffer gerade so nicht zwischen Tisch und Stuhl, sodass er leider im Gang stehen bleiben musste. Hoch auf die Ablage wollte ich ihn jetzt auch nicht hieven. Er rollte immer wieder hin und her, aber solange der Zug nicht stark abbremst, sollte das so auch klappen. Es ging los und ich aß mein Sandwich. Alles war irgendwie so unspektakulär. Es kümmert einen gar nicht mehr wo man sich befindet oder was man isst, die Situation beherrscht alles. Ich langweilte mich ein wenig und muss wohl durch meine absolute Übermüdung auch kurz eingeschlafen sein. Geweckt wurde ich durch meinen Koffer, der sich nach einer starken Bremsung in Bewegung setzte und den Gang hinabrollte. Ich versuchte ihm im Halbschlaf nachzusprinten und stolperte dadurch natürlich. Sagen wir's so, weder mir noch meinem Koffer ist bei der Aktion was passiert. Ich telefonierte noch kurz mit meiner Tante und meinem Onkel und dann kamen wir auch schon langsam wieder in bekanntere Gefilde. Und ehe man sich versah, fuhr der Zug auch schon in den Marktredwitzer Bahnhof ein. Tja, da bin ich nun. Ich stieg mit meinem Gepäck aus und fühlte mich sofort wieder so falsch. Dieses Gefühl ist echt lästig. Am Parkplatz vor dem Bahnhof wartete mein Vater, der mich von weitem begrüßte und mir eine Maske zuwarf. Die setzte ich auf und lud mein Gepäck hinten in den Kofferraum bzw. auf den Beifahrersitz. Dann fuhren wir nach Hause. Ein komisches Gefühl, hatte ich das erwähnt?

Es war abgemacht, dass ich aus Sicherheitsgründen zunächst zwei Wochen in meinem Zimmer (bzw. in meinem Stockwerk) zuhause in Quarantäne gehe. Auch wenn ich natürlich auf eine Weise froh war, meine Eltern wieder zu sehen, gab es deshalb keine ausgiebige Begrüßung, sondern es wurde gleich alles nach oben geschafft und nur kurz ein paar Worte gewechselt. War vielleicht auch besser so. Ich ging in mein Zimmer, fiel erschöpft in meinen IKEA-Sessel und sah das "Welcome Home"-Banner an der Wand, das meine Familie aufgehangen hatte. Es war schrecklich. Also nicht das Banner, sondern die Situation. Jetzt war ich wieder hier. Toll. Es ist wie als hättest du gerade den besten Traum deines Lebens und jemand rüttelt dich auf einmal wach. Also nicht genau so, aber es geht eben um das Gefühl. Ich kann sowas schlecht ausdrücken. Ich konnte einfach nicht mehr. Nach einiger Zeit meldete sich meine Mutter über den Amazon-Lautsprecher, den mein Vater extra in mein Zimmer gestellt hatte, damit wir miteinander kommunizieren können. Es gab Essen, das sie mir hochstellen würde. Tortellini mit Schinken-Sahne-Soße. Mega gut eigentlich, aber gerade war es mir ziemlich egal. Irgendwann stand der Teller mit den Tortellini dann auch vor der Tür. Ich holte ihn mir ab und begann zu essen. Weit kam ich nicht, denn ich war einfach zu müde. Und das will was heißen, denn ich esse sonst immer auf! Es braucht jetzt einfach eine Weile, bis ich das Ganze (nicht nur das Schlechte, sondern auch das Gute) verarbeitet habe. Dazu bleibt ja in den nächsten Tagen und vielleicht auch Monaten viel Zeit. Auch gerade deswegen finde ich die vorsorgliche Quarantäne in die ich jetzt gehe eigentlich ganz gut. Wenn ich sofort wieder in eine Art Normalität zurückgekehrt wäre, wäre das viel schlimmer gewesen. So habe ich genug Zeit für mich. Und vor allem ist das Semester ja noch nicht zu Ende. Ja, gerade heute habe ich sogar einige Vorlesungen verpasst. Es war ja Donnerstag. Von daher, schauen wir einfach mal wie die Zeit jetzt so wird. Vor allem hoffen wir mal, dass sich das Virus nicht zu sehr verbreitet und wir alle gesund bleiben. Das ist schließlich immer noch das wichtigste, und das meine ich durchaus ernst. Und irgendwie tröstet es mich auch zu wissen, dass die ganze Welt gerade stillsteht. So sind wir immerhin nicht alleine. :)

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