10Dezember
2020

Warum Reno der beste Ort in Amerika ist

Okay, ja es klingt verrückt. Ich kenne sehr wenige andere Orte in den USA, war bisher nur in 4 Staaten und hatte eine außergewöhnliche Erfahrung in Reno, die mein ganzes Bild von der Stadt und der Gegend verzerrt. Ich bin sozusagen befangen. Dennoch will ich euch nun ein paar objektive Gründe liefern, warum man meiner Meinung nach durchaus sagen kann, dass Reno die beste Stadt in Amerika ist. Also, "hear me out".

Bevor ich aber mit all den Vorzügen starte, will ich kurz die Gegenseite beleuchten. Während meiner Zeit in Reno habe ich nämlich auch immer mal wieder schlechtes über die Stadt gehört. Manches ist auch durchaus berechtigt. Viele der kalifornischen Einwohner und Studenten regen sich zum Beispiel über die Lage Renos auf. So weit ab vom Schuss und man muss ja immer so lange fahren. Außerdem seien die meisten Leute ja nur hier, da es günstiger ist und man weniger Steuern zahlt, nicht weil die Stadt unbedingt so cool ist. Man kann sich auch durchaus über die Downtown-Gegend beklagen. Eine handvoll Casinos die ihre besten Jahre bereits hinter sich haben, viele Obdachlose und ein allgemein leeres Stadtbild gegen das die Stadt auch gefühlt nichts tut. Dann ist der öffentliche Nahverkehr so gut wie nicht vorhanden und man braucht dringend ein Auto um wohin zu kommen. Man kann auch die allgemeine Lebensweise Nevadas anführen. Die Leute sind ein bisschen "freizügiger" und wenn man an Drogen oder andere Gefälligkeiten für Geld gelangen will, ist man in Reno bestimmt gut aufgehoben. Dann werden die Mieten auch noch teurer und Kriminalität existiert eben auch zu einem gewissen Grad. Hm, ja, toll, ist schon ein bisschen vermessen, hier vom besten Ort der USA zu sprechen. Oder?

Lasst mich beginnen mit meiner Passion: Geographie! Für mich ist die Lage Renos einfach perfekt. Es ist eine Stadt in den Bergen, also wortwörtlich umringt von den Gipfeln der Sierra Nevada, die im Winter malerisch mit Schnee bedeckt sind. Man hat hier eben wirklich ein Hochgebirge nebenan. Mit allem was dazugehört. Und damit ist auch der Lake Tahoe gemeint, der größte alpine See Nordamerikas. Ein Naturparadies in dem Amerikaner und Leute aus aller Welt gerne Urlaub machen. Es gibt Strände, unendliche Wanderwege, unvergleichliche Natur und allerlei Aktivitäten auf dem Wasser und drumherum. Allgemein ist die Gegend wohl eine der besten um Sport zu machen, da hier wirklich alles möglich ist was das Herz begehrt (auch in Reno direkt). Im Winter hat man dann noch die Wahl zwischen 15 Ski-Resorts, die teilweise weltbekannt sind. Und das alles ist nur eine kurze Autofahrt entfernt. Wer es lieber flacher oder wärmer mag muss sich allerdings nicht grämen. Im Sommer kann es auch schon mal Hitzewellen bis zu 40°C geben. Und fährt man nur ein Stückchen nach Osten befindet man sich wortwörtlich in der staubigen Wüste. Keine Zivilisation weit und breit. Nicht umsonst wird der Highway 50, der einmal quer durch Nevada führt, auch "The Lonliest Road in America" genannt. Wer also das klischeehafte Nevada sucht, wird es hier auch finden. Aber was, wenn man kein Naturliebhaber ist und eher so auf Großstadt steht? Naja, dann fährt man einfach 10 Minuten nach Westen und schon ist man in Kalifornien - DEM place to be. Nach einer malerischen Interstate-Fahrt mitten durch die Berge ist man in etwa 2 Stunden in Sacramento, der Hauptstadt Kaliforniens (übrigens mit 2 Millionen Einwohnern wenn man Vororte dazuzählt). Wenn man immer noch nach "meer" sucht, kann man aber auch einfach weiter fahren bis man nach San Francisco kommt - einer DER Weltmetropolen überhaupt. Zusammen mit der restlichen Bay Area ist das eine der fortschrittlichsten und weltoffensten Gegenden Amerikas. Zudem ist man hier mit dem Silicon Valley am Ort des Geschehens von so ziemlich allem. Die Natur wollt ihr doch nicht außen vor lassen? Gut, denn wenn man San Francisco erreicht hat, hat man auch den Pazifik erreicht - das MEER! Und da findet man sowohl malerische Steilküsten als auch ganz gewöhnliche Strände. Aber eigentlich muss man gar nicht so weit nach Kalifornien reinfahren. Biegt man vor San Francisco rechts ab, findet man sich im Napa Valley wieder - eine der bekanntesten Weinregionen der Welt. Hier herrscht nämlich mediterranes Klima! Man kann in Kalifornien auch ganz wo anders abbiegen und weiter die Sierra Nevada erkunden z.B. den weltberühmten Yosemite Nationalpark oder den Sequoia Nationalpark mit den größten Mammutbäumen der Welt. Ich könnte hier noch ewig über Kalifornien schreiben, aber das soll ja nicht das Hauptthema sein.

Ihr fragt euch jetzt bestimmt zurecht: Warum in Reno leben, wenn das ach so gute Kalifornien gleich nebenan liegt? Gute Frage. Hier kommt die Antwort. Zunächst einmal ist es billig. Gut, wenn ich es mit Dresden vergleiche, dann kann man das nicht so sagen aber im Vergleich zu Kalifornien... 100% billig. Warum sonst studieren so viele junge Leute aus Kalifornien extra an der UNR, wenn es eine Vielzahl anderer renommierter Unis in Kalifornien gibt? Das gleiche gilt auch für Nicht-Studenten. In Nevada zahlt man allgemein weniger Steuern, unter anderem viel weniger Vermögenssteuer und keine Einkommenssteuer! Ich will transparent bleiben: Es kann gut sein, dass ich hier nicht über alle Einzelheiten Bescheid weiß, aber die Grundessenz bleibt - und zwar dass der Staat Nevada nicht viel von dir abhaben will. Am Ende ist es ihm nämlich egal ob er sein Geld mit dir oder mit den Touristen macht. Die spülen nämlich in den Casinos einen Haufen Geld in die Kasse. Das Ganze hat auch noch einen anderen großen Vorteil: Auch Unternehmen zahlen in Nevada viel weniger Steuern als in anderen "angesagten" Gegenden in den USA. So ist es nicht verwunderlich, dass Tesla hier seine Gigafactory 1 gebaut hat - einfach mal das größte Produktionsgebäude der Welt. Auch andere Global Player wie Apple, Panasonic, Microsoft, Google, Amazon und Walmart haben selbstverständlich Standorte in Reno und Umgebung. Neben vielen anderen großen und aufstrebenden Unternehmen hat sich die Gegend in den letzten Jahren auch zu einem kleinen Startup-Hotspot entwickelt. In Reno ist man also am Puls der Zeit. Dann kommt natürlich noch die Casino- und Tourismusindustrie mit dazu. Wenn mal keine Corona-Pandemie herrscht, gibt es hier also viele Jobmöglichkeiten für Jedermann!

Wie sieht denn allgemein die Infrastruktur aus? Schauen wir uns zunächst die Bildungsinfrastruktur an. Die UNR ist nicht nur die beste Uni im Bundesstaat Nevada, sondern sie ist ebenfalls eine Tier 1 University, was bedeutet, dass sie zu den forschungsstärksten der USA gehört. Hier gibt es außerdem eines der weltgrößten Erdbebenlabore und einen der stärksten Terawatt-Laser des Landes und die Journalismus und Medizin-Departments sind sehr hoch angesehen. Dazu kommt natürlich der toll gestaltete Campus und die vielen Angebote für Studenten. Das Sportprogramm der Uni ist zudem auch ganz ordentlich. Neben der UNR gibt es zusätzlich ein recht gutes Community College und weitere High Schools, die sich in Sachen Bildung nicht vor dem Rest des Landes verstecken müssen. Aber gehen wir weiter. Auch sonst ist in Reno alles da: Eine große Interstate in Ost-West-Richtung und mehrere kleine Highways die einen überall schnell hinbringen. Außerdem gibt es einen großen internationalen Flughafen, der von vielen Airlines regelmäßig angeflogen wird und Reno liegt sogar an der bekannten Fernzugstrecke von Chicago nach San Francisco. Daneben gibt es viele kleine Parks und der Truckee River fließt durch die Innenstadt. All das zusammen findet man in vielen US-Städten vergleichbarer Größe nicht.

Gut, jetzt hat man sich die Fakten angeschaut. Ja, Reno hat schon viele Vorteile. Aber bitte, die USA sind groß, da schon vom besten Ort zu sprechen ist ein bisschen überheblich. Was ist mit anderen Gegenden im mittleren Westen oder an der Ostküste? Und oft kann man das ja auch gar nicht wirklich quantifizieren, manchmal hat eine tolle Stadt ja auch einfach eine ganz gewisse Mentalität? Hier ist mein Take dazu: Natürlich ist jeder Teil von Amerika schön. Auch wenn ich bisher nur im Südwesten und in Florida war, bin ich davon überzeugt! Aber dennoch gibt es für mich persönlich irgendetwas am Westen, das ich einfach auf eine andere Weise anziehend finde. Und ich meine nicht unbedingt die Westküste (die ist natürlich auch super), sondern eher den "wilden Westen" - das Gebiet in und um die Rocky Mountains. Auch wenn der Alltag in einer Stadt wie Reno bestimmt vergleichbar ist mit einer ähnlich großen Stadt im Rest des Landes, hat das hier doch einen ganz gewissen Flair. Ich kann es weiß Gott nicht gut beschreiben, aber das weite Land um einen herum, die karge Landschaft und die Geschichte dieser Gegend haben einen ganz bestimmten Einfluss auf die Mentalität der Stadt. Die Orte hier sind noch jung und wurden alle in einer Zeit des Aufbruchs gegründet. Hier haben vor 150 Jahren Leute ihr Glück versucht und wollten neu anfangen. Das merkt man irgendwie immer noch. Zusätzlich befinden wir uns ja in Nevada, wo Gesetze schon immer etwas laxer ausgelegt wurden. Das ist auch bis heute noch so. Nicht nur die Casinokultur ist das beste Beispiel dafür, auch der Fakt, dass viele Dinge hier erlaubt sind, die es in anderen Bundesstaaten nicht sind, spricht für die Freizügigkeit der Einwohner Nevadas. Hier wollte man eben schon immer leben wie man selber möchte, seine Freiheiten voll und ganz auskosten. Genug Land ist ja da. Diese Mentalität spürt man immer noch. Vielleicht nicht so direkt, aber man muss nur einmal in die Ferne auf die Hügel blicken oder sich die Casino-Skyline von Reno abends anschauen und man weiß sofort wo man sich befindet. Im "wilden Westen". Das alles mag ein bisschen so klingen, als wären die Leute hier sehr alteingesessen und konservativ geprägt. Während das für die kleinen Dörfer auf dem Land stimmen mag, ist das für Reno schon länger nicht mehr der Fall. Reno wählt, genau wie der komplette Bundesstaat Nevada seit einigen Jahren demokratisch und das wird vermutlich auch erstmal so bleiben. Es siedeln sich nämlich immer mehr junge, gebildete Leute hier an und die Stadt wird allgemein bunter. Man findet hier nicht nur typische weiße Amerikaner, sondern auch immer mehr Latinos, Asiaten und Leute aus anderen Gegenden der Welt. Eine Stadt, die mit der Zeit geht. Es ist jedem selbst überlassen, ob er das alles (vor allem den Teil mit der "Mentalität") auch so sieht. Für mich sind das jedoch gute Gründe, weswegen ich eine Stadt im Westen der USA einer vergleichbaren im Osten vorziehen würde.

Mensch, ich schreibe hier ja ein ganzes Essay. Dabei fehlen sogar noch ein paar Dinge. Wir haben zum Beispiel noch gar nicht drüber gesprochen, dass Reno mit seiner Größe (etwa 400.000 Einwohner) keine langweilige und unbekannte Kleinstadt ist aber auch keine überfüllte und unübersichtliche Megacity - genau mittendrin eben. Dazu kann Reno weltberühmte Events bieten, wie das Reno Air Race (eines der wenigen weltweit), das Great Reno Balloon Race (das größte Heißluftballon-Festival der USA), das Reno Rodeo, das Reno River Festival, die Hot August Nights, das Best In The West Nugget Rib Cook-Off, das Great Eldorado BBQ, Brews & Blues Festival und die Street Vibrations Fall Rally. Das größte und bekannteste ist allerdings zweifelsohne das Burning Man Festival, das alljährlich in der Black Rock Desert etwa 150km nördlich von Reno stattfindet und das Besucher aus aller Welt anlockt, um für zwei Wochen die Normen des alltäglichen Lebens hinter sich zu lassen. Reno hat zudem einen guten Ruf wenn es um Essen geht. Die Restaurantvielfalt hier kann sich durchaus sehen lassen und auch ich muss sagen, dass ich in Reno oft gut gegessen habe. Zusätzlich hat Reno ein super Nachtleben. Natürlich sprechen wir hier von den Casinos, aber auch abgesehen von diesen Feier- und Entertainment-Riesen gibt es mit Midtown und dem Riverwalk District zwei Bezirke mit zahlreichen Bars und Clubs, in denen man zweifelsohne eine gute Nacht erleben kann. Ich könnte jetzt noch damit anfangen, dass es in Reno viele tolle Museen gibt, dass hier schon viele bekannte Filme gedreht wurden, dass es mit dem "Reno Arch" ein einprägsames, über die Grenzen Nevadas hinaus bekanntes Wahrzeichen mit unvergleichlichem Slogan gibt oder dass die Sonnenuntergänge und die Lichter bei Nacht hier einfach atemberaubend sind. Ich könnte auch noch erwähnen, dass Reno in diesem Jahr wortwörtlich zur besten kleinen Großstadt der USA gewählt worden ist. Aber ich glaube, ich sollte langsam mal zum Ende kommen.

Da habt ihr's also: Reno ist der beste Ort in Amerika. Natürlich ist diese Behauptung immer noch streitbar. Aber ich habe neulich auf die Karte geschaut und mich ein bisschen zurückerinnert und ich sage mal so: Ich habe spontan keinen anderen Ort gefunden, der all das bieten kann. Habt ihr einen Vorschlag? Meldet euch gerne!

Das war's mit meiner kleinen Liebeserklärung an die "größte kleinste Stadt der Welt". Man merkt bestimmt, dass ich die Zeit vermisse. Ich muss zwar sagen, dass ich natürlich wieder im Hier und Jetzt lebe und auch weiß, dass ein Auslandssemester etwas besonderes ist, das man nicht mit dem normalen Alltagsleben vergleichen kann. Außerdem habe ich mir hier in Deutschland wieder komplett eingelebt, nachdem das in den ersten Monaten nach meiner vorzeitigen Rückreise nicht so leicht war. Aber manchmal überkommen einem doch noch ab und zu die Gedanken an Reno. Nicht unbedingt an die Zeit dort, sondern einfach an die Stadt und die Gegend an sich und man fragt sich, wie das Leben wohl aktuell dort aussieht, wie es den Leuten geht, die man dort (wenn auch nur flüchtig) kennengelernt hat und wann man wohl zurückkommen wird. Und in diesen Zeiten setze ich mich dann hin und schreibe einen solchen Blogeintrag. Es ist gerade 4:10 Uhr und ich höre jetzt am besten auch auf. :D Grüße an alle und bleibt gesund!

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